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Die konservativ-revolutionäre Versuchung

Warum gläubige Christen sich nicht mit der intellektuellen Neuen Rechten gemein machen dürfen

„Gemäßigte Konservative hatten es schwer gegen die aggressive Rhetorik“. So lautet ein Satz, der sich in einem gerade erschienen Essay des Journalisten Johannes Saltzwedel mit dem folgenden Titel findet: „Aufbruch ins Kampfgelände – rechte Intellektuelle befeuerten die Ablehnung der Weimarer Demokratie. Auch totalitäre Visionen wurden schon früh laut.“ Der Text ist Teil des lesenswerten Sammelbands „Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie“.

Historisches Terrain, könnte man meinen. Doch leider gibt es längst immer deutlichere Anzeichen, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. 82 Jahre nach dem Zusammenbruch der ersten Demokratie auf deutschem Boden erlebt der rechte, gegen die liberale Demokratie, ihre Repräsentanten und die Qualitätspresse gerichtete Impuls, der damals so verheerend war, eine Renaissance. Der Rechtsruck der Alternative für Deutschland (AfD), die in Dresden erneut Tausende von Demonstranten anziehende Pegida-Bewegung sowie die steigenden Auflagen von Medien wie der „Jungen Freiheit“ oder Jürgen Elsässers Magazin „Compact“ sind nur die sichtbarsten Zeichen dafür, wie sehr die sogenannte „Neue Rechte“ inzwischen an Einfluss gewinnt. Und leider kann sie sich dabei auf einen zunehmend größer werdenden Sympathisanten- bzw. Unterstützerkreis aus Teilen des konservativ-christlichen Milieus beider Konfessionen verlassen.

Wie schon in den frühen 30ern des 20. Jahrhunderts ist die Versuchung vieler Rechtgläubiger groß, zu Rechtsgläubigen zu werden. Statt sich primär an den Prinzipen „Glaube, Liebe, Hoffnung“ zu orientieren, beschäftigt man sich vornehmlich mit dem typischen Feindbildkanon von Rechtspopulisten, zu dem vor allem die EU (oft „EUdSSR“ genannt), der „Genderwahn“, der öffentliche-rechtliche Rundfunk (im Szenejargon als „GEZ-Medien“ bezeichnet), die „Homo-Lobby“ oder die „Asylindustrie“ zählen. Einher geht dies mit einer immer ausgeprägteren Verachtung der etablierten Politik und der Presse, die in der rechten Szene als „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ geschmäht werden. Begriffe, die inzwischen auch von den nach rechts gedrifteten Christen verwendet oder zumindest nicht aktiv abgelehnt werden. Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci, dessen neues Buch „Die große Verschwulung“ lautet und der den Nachfolger „Umvolkung“ bereits angekündigt hat, gelten als Helden im Kampf gegen die verhasste „politische Korrektheit“.

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Debattierfähig sind die oben genannten Themen als solche allesamt, gerade aus einem konservativ-christlichen Weltbild heraus. Die Ausgestaltung der EU und vor allem ihrer Bürokratie ist in vielen Punkten verbesserungswürdig. Das Gendermainstreaming bringt etwa in Folge von Sprachregelungen mitunter groteske Blüten hervor. Ebenso gibt es aus Sicht der Lehre von den christlichen Ehezwecken Bedenken gegenüber einer „Homo-Ehe“. Desgleichen sind vom Kindeswohl aus große Zweifel an einem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare angebracht. Auch hat Medienkritik eine wichtige Korrekturfunktion und findet sich deshalb nicht zuletzt in zahlreichen Feuilletons. Für Sachdebatten dieser Art sind die Rechtsdenker jedoch nicht wirklich empfänglich. Sie haben daran wenig Interesse, da es ihnen um „Systemkritik“ geht, weshalb sie die Repräsentanten der Demokratie als „Politikerdarsteller“ ebenso wie die etablierten Parteien als „Altparteien“ bzw. „überkommene Parteien“ in Misskredit bringen. In einem derartigen Klima haben es gemäßigte Konservative in der Tat schwer, mit ihrer Argumentationsweise durchzudringen.

Durch die hohen Flüchtlingszahlen und die damit einhergehende Asyldebatte hat sich der Rechtsdrift im christlichen Milieu nochmals beschleunigt. Begonnen hat er jedoch schon viel früher. Viel dazu beigetragen haben Allianzen mit Medien und Personen der Neuen Rechten bzw. dem Rechtslibertarismus. Seit Jahren haben diverse katholische und evangelikale Autoren keinerlei Hemmungen, in der neurechten und immer wieder geschichtsrevisionistischen „Jungen Freiheit“ und dem rechtslibertären „eigentümlich frei“ zu publizieren, dessen Herausgeber und Chefredakteur André Lichtschlag offen gegen „die Herrscherkaste“ agitiert. Manche haben nicht einmal Berührungsängste mit der noch weiter rechts stehenden Zeitschrift „Sezession“ von Götz Kubitschek und geben ihm dort Interviews oder treten gar zusammen mit ihm öffentlich auf.

Götz Kubitschek ist die Zentralfigur der Neuen Rechten und betreibt neben der Sezession den Verlag Antaios, in dem gerade der xenophobe Untergangsroman „Das Heerlager der Heiligen“ von Jean Raspail aus dem Jahr 1973 neu übersetzt wurde, der sich auch unter rechten Christen großer Beliebtheit erfreut. Die Neue Rechte wurde in den 70er Jahren in Frankreich durch Alain de Benoist begründet, einem Autor, der unter anderem abschätzig von der „Ideologie der Menschenrechte“ spricht und dessen Buch „Mein Leben“ 2014 in deutscher Übersetzung im Verlag der „Jungen Freiheit“ erschienen ist.

Ideell knüpft die Neue Rechte nicht an das Gedankengut der Nationalsozialisten, sondern an das der antiliberalen „Konservativen Revolution“ der Zwischenkriegszeit an und grenzt sich damit von Neonazis ab. Führende Protagonisten der „Konservativen Revolution“ waren Carl Schmitt, der ein striktes Freund/Feind-Denken propagierte, Edgar Julius Jung mit seinem Hauptwerk „Die Herrschaft der Minderwertigen“ und Arthur Moeller van den Bruck, dessen Buch „Das dritte Reich“ mehr Einfluss auf den Nationalsozialismus zugeschrieben wird als Hitlers „Mein Kampf“. Auch wenn die Konservativen Revolutionäre wenig für die von ihnen als vulgär empfundenen Nazis übrig hatten und von diesen teilweise umgebracht wurden, waren sie mit ihren völkischen, fremdenfeindlichen und antiliberalen Forderungen doch Wegbereiter des Nationalsozialismus. Die Neue Rechte schert das offenbar nicht. Kubitscheks Antaios-Verlag hat Moeller van den Brucks „Das dritte Reich“ sogar neu aufgelegt. Kubitschek ist übrigens mehrfach als Redner auf den Dresdner Pegida- und den Leipziger Legida-Demonstrationen aufgetreten.

Das wichtigste Konzept der „Neuen Rechten“ ist der sogenannte „Ethnopluralismus“, mit dem gemeint ist, dass jedes Volk bzw. jede Rasse möglichst homogen bleiben soll. Im Unterschied zu Neonazis werden die Herkunftsdeutschen also nicht als anderen Völkern überlegen betrachtet, jedoch sollen sie sich möglichst nicht mit ihnen mischen. Vor diesem Hintergrund ist die Aversion des neurechten Milieus gegenüber Migranten und Asylbewerbern zu sehen. Ziel der Bewegung ist, den vorpolitischen Diskurs nach rechts zu ziehen, um später auch mit einem (partei-)politischen Vehikel Erfolg zu haben. So erklärt sich auch, warum man schon früh versucht hat, Einfluss auf die AfD zu nehmen. Inzwischen ist dies mit dem Zirkel um den Thüringer AfD-Co-Vorsitzenden Björn Höcke schon ziemlich gut gelungen. Höcke ist in der Partei längst enorm einflussreich und agitiert als rechter Scharfmacher auf AfD-Demonstrationen gegen die „Deutschlandabschaffer“ in der Politik oder das „Lumpenpack“, als das er Gegendemonstranten beschimpft.

Viele sich konservativ nennende Christen hält das Geschilderte nicht davon ab, mit der AfD und Pegida zu fraternisieren. Auch die Volksverhetzungs-Anklage gegen den Pegida-Anführer Lutz Bachmann durch die Staatsanwaltschaft Dresden ficht sie nicht an. Grund für dieses Verfahren ist, dass Bachmann Flüchtlinge auf Facebook als „Dreckspack“, „Viehzeug“ und „Gelumpe“ bezeichnet hat. Pünktlich zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit fühlte sich namentlich Matthias Matussek, der die Bewegung nicht zum ersten Mal verteidigt, bemüßigt, Angela Merkel vorzuwerfen, ihre Kritik an Pegida sei „undemokratisch“ gewesen.
In den nach rechts gerutschten christlichen Kreisen stößt immer häufiger auf typisch neurechtes Vokabular. Dazu muss man wissen, dass die intellektuelle „Neue Rechte“ ein von ihr selbst so bezeichnetes Konzept namens „politische Mimikry“ verfolgt, mit dem die wahren Absichten durch eine verharmlosende Sprache verschleiert werden, um so Anschlussfähigkeit an die bürgerliche Mitte zu erlangen. Statt von „Ausländer raus!“ wird die Notwendigkeit der Wahrung der deutschen „Identität“ oder der „Verteidigung des Eigenen“ beschworen. Oder es ist vom „Großen Austausch“ die Rede, hinter dem sich die Vorstellung des deutschen „Volkstods“ durch den Zuzug von Migranten und Asylbewerbern verbirgt.

Auch der Name Pegida fügt sich in diesen Rahmen ein. Wie usurpatorisch die Bezeichnung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands ist“ hat jüngst der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft nachgewiesen: „Die Usurpation besteht darin, dass historisch belegte Termini (Abendland, Europa, Patriotismus), die Assoziationen mit hehren Wertbegriffen auslösen, als Markenzeichen benützt werden, um positive Identifikationen zu schaffen für Bestrebungen, die fremdenfeindlich sind, an unterschwelligen Rassismus appellieren und dumpfe Auflehnung signalisieren.“ In diesem Zusammenhang lässt sich mit dem Begriff der „Islamisierung“ besonders gut Stimmung machen und zwar gegen den Islam als solchen, statt sauber zwischen Islamismus und Islam zu unterscheiden. Wie stark neurechts Pegida geprägt ist, zeigt sich nicht nur an den zahlreichen Reden Kubitscheks dort, sondern auch daran, dass dort die Worte „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ erstmalig seit der Nazizeit wieder skandiert wurden, bevor sie auch in weiteren neurechten Medien aufgegriffen wurden.

Bleibt die Frage, warum so viele Christen diesem Gedankengut anheimfallen. Eine Antwort darauf gibt der Bonner Politologe Andreas Püttmann. Er stellt zu Recht fest, dass diese Kreise schon länger „antiliberal-ordnungsfixiert, parteien- und medienverdrossen“ sowie von „Ressentiments gegen Normabweichler und von Untergangsphantasien erfüllt [sind], eine ‚Identität‘ von Religion, Kultur, Nation, Regierung und Volk erstrebend“. Moderate konservative Christen sollten dagegenhalten, ihre Stimme erheben und nicht zulassen, dass diese aufgrund der zunehmend lauter werdenden rechten Scharfmacher kaum noch hörbar ist. Dies gilt insbesondere in der Flüchtlingsdebatte, in der besonnen agiert werden muss und Hilfsbereitschaft ebenso wichtig ist wie die Beachtung der Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres Landes. Auch innerkirchlich ist eine klare Grenze zu den Thesen der nach rechts abgewanderten Bürger zu ziehen.

Dr. iur. Liane Bednarz, München

Anmerkung:

Die Autorin hat gemeinsam mit Christoph Giesa das Buch „Gefährliche Bürger. Die neue Rechte greift nach der Mitte“ im Carl Hanser Verlag veröffentlicht (München 2015. 220 Seiten).