johanniter.de
15.06.2022 | Regionalgeschäftsstelle Münsterland/Soest

Bündnis präsentiert Jahresbilanz 2021

Mit dieser Jahresbilanz blicken die Hilfsorganisationen auf das vergangene Jahr 2021 zurück. Ein dringendes Anliegen sehen die Hilfsorganisationen zukünftig in der Optimierung der der Finanzierung von Ausbildungsplätzen für Notfallsanitäter*innen.

Ob bei der Bewältigung der Pandemie, dem Einsatz beim Schneechaos im Februar und in den Flutgebieten in NRW und Rheinland-Pfalz oder bei den zahlreichen Sanitätsdiensten – die Hilfsorganisationen stehen der Stadt Münster als zuverlässiger Partner zur Seite und helfen da, wo Hilfe gebraucht wird. Im Bündnis „Gemeinsam für Münster“ haben die vier Hilfsorganisationen ASB Regionalverband Münsterland e.V., DRK-Kreisverband Münster e.V., JUH e.V. Regionalverband Münsterland/Soest und Malteser Hilfsdienst e.V., Stadtverband Münster gestern ihre Jahresbilanz an Stadtrat Wolfgang Heuer und Oberbürgermeister Markus Lewe übergeben.
Mit dieser Jahresbilanz blicken die Hilfsorganisationen gemeinsam auf das vergangene Jahr 2021 zurück und geben einen Ausblick auf die Ereignisse, die uns im neuen Jahr erwarten. Ein dringendes Anliegen sehen die Hilfsorganisationen in der Optimierung der Finanzierung von Ausbildungsplätzen für Notfallsanitäter*innen. Bei stetig steigenden Einsatzzahlen herrscht im Rettungsdienst zeitgleich ein Ausbildungsplatzmangel. Lesen Sie dazu im folgenden Interview.

--

„Die Entwicklung ist alarmierend“


2020 wurden die Münsteraner Hilfsorganisationen erstmals in die hauptamtliche Regelrettung der Stadt Münster eingebunden. Denn wer langfristig das Ehrenamt in den Hilfsorganisationen von Münster stärken will, muss auch eine hauptamtliche Perspektive bieten können. Ein großer Meilenstein auf den dieHilfsorganisationen, im Bündnis „Gemeinsam für Münster“, über Jahrzehnte hingearbeitet haben. Die Bemühungen stellen sich heute als Erfolg heraus. Besonders für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger. 

Als nächsten dringenden Schritt sehen die Bündnispartner eine Optimierung der Finanzierung von Ausbildungsplätzen für Notfallsanitäter*innen, denn hier klafft eine entscheidende Lücke. Bei stetig steigenden Einsatzzahlen herrscht im Rettungsdienst zeitgleich ein Ausbildungsplatzmangel. Der Auslöser dafür: ein Fehler im Finanzierungssystem. Dirk Winter (ASB), Frieder Frischling (DRK), Markus Haubrich (JUH) und Tobias Jainta (MHD) sehen hier dringenden Handlungsbedarf.

Müssen wir uns Sorgen machen, dass uns im Notfall die Hilfe nicht rechtzeitig erreicht?
Winter (ASB): Soweit ist es zum Glück noch nicht. Doch wir müssen jetzt handeln, damit es nicht in einigen Jahren dazu kommt. Die Zahl der Einsätze steigt in NRW von Jahr zu Jahr und ohne ein konsequentes Bemühen um Nachwuchs im Rettungsdienst sowie dessen Ausbildung werden sich langfristig ernste Probleme ergeben. 

Worin ist der Mehrbedarf an Einsatzkräften begründet?
Haubrich (JUH): Die Krankenhausstrukturen haben sich verändert. Viele Kliniken sind heute auf bestimmte Bereiche spezialisiert, wodurch der Rettungsdienst die Patienten häufiger von einer Behandlung zur nächsten fahren muss. Außerhalb des Stadtbereiches von Münster gibt es zudem immer weniger Kliniken, so dass die Fahrtzeiten ins nächste Krankenhaus weiter sind und die Einsatzkräfte länger in einzelnen Einsätzen gebunden sind.

Spielt der demografische Wandel dabei eine große Rolle?
Jainter (MHD): Der demografische Wandel spielt eher eine indirekte Rolle: Eine zunehmende Zahl älterer Menschen hat gerade in ländlichen Regionen immer seltener ärztliche Versorgungsangebote in näherer Umgebung. Sie wählen deshalb häufiger als früher die Notruf-Nummer. Was einst der Arzt im Dorf abdeckte, muss nun immer häufiger der Rettungsdienst übernehmen.

Auf einen ausgeschriebenen Ausbildungsplatz zum Notfallsanitäter erhalten die Hilfsorganisationen im Schnitt 50 Bewerbungen. Bei der Berufsfeuerwehr in Münster ist es sogar ein Vielfaches davon. Mangelndes Interesse am Beruf ist offenbar nicht das Problem. 
Frischling (DRK): Nein, definitiv nicht. Die Nachfrage von jungen Menschen nach einer Tätigkeit im Rettungsdienst ist ungebrochen hoch, denn die Tätigkeit ist sinnstiftend und abwechslungsreich. Doch als das neue Notfallsanitäter-Gesetz 2014 in Kraft trat und der Notfallsanitäter den Rettungsassistenten ablöste, hat sich nicht nur die Berufsbezeichnung geändert.

Was hat sich geändert?
Winter (ASB): Die einjährige Ausbildung zum Rettungsassistenten wurde durch die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter abgelöst. Die Kosten dieser Ausbildung tragen die Hilfsorganisationen größtenteils selbst – allerdings sind diese mit dem Wechsel zur drei jährigen Ausbildung natürlich extrem gestiegen. Und diese Kostenexplosion für einen Ausbildungsplatz führen dazu, dass weniger Plätze angeboten werden, obwohl der Bedarf wie erwähnt sogar steigt. Diese Entwicklung ist alarmierend! 

Was kostet eine dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter eine Hilfsorganisation?
Haubrich (JUH): In NRW kostet die Ausbildung gemäß aktuellem Erlass der Landesregierung im Schnitt 110.000 Euro. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Ausbildungsvergütung, der klinischen Ausbildung, den Schulkosten und der Praxisanleitung.

Gibt es keine Refinanzierung durch die Krankenkassen? 
Frischling (DRK): Die Krankenkassen refinanzieren Ausbildungskosten teilweise über Gebührensätze, aber stimmen selber im Rahmen der Gebührenverhandlung über die Anzahl der refinanzierten Ausbildungsplätze mit ab. Das Problem dabei ist, dass in der Berechnungsgrundlage ein entscheidender Aspekt unter den Tisch fällt: Ein hoher Anteil der Auszubildenden bleibt nicht auf Dauer in der Notfallrettung.

Woran liegt es, dass ausgebildete Fachkräfte nicht lange in der Notfallrettung bleiben?
Jainter (MHD) Notfallsanitäter haben einen Berufsalltag, der psychisch und physisch fordernd ist. Das macht den Beruf einerseits besonders attraktiv, andererseits aber auch sehr anspruchsvoll. Laut einer Studie der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im Rettungsdienst aus dem Jahr 2020 wollen rund 20 Prozent aller Auszubildenden bereits unmittelbar nach der Ausbildung nicht mehr im Beruf arbeiten. Viele nutzen die Ausbildung, um z.B. ihre Wartesemester fürs Medizinstudium zu überbrücken. Knapp die Hälfte der Befragten geht zudem davon aus, dass sie den Beruf als Notfallsanitäter nicht länger als 10 Jahre ausüben wollen. Neben diesen berufsbedingten Aspekten werden Notfallsanitäter auch noch häufig abgeworben, zum Beispiel von Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen und Krankenhäusern. Die Anzahl der ausgebildeten Notfallsanitäter ist daher kein langfristiger Indikator für eine gesicherte Personalstruktur im Rettungsdienst.

Was muss jetzt getan werden?
Haubrich (JUH): Wir Hilfsorganisationen in Münster fordern, dass die Stadt die Notfallsanitäter-Ausbildungsstellen in den Rettungsdienstbedarfsplan aufnimmt. Denn die Krankenkassen können die Ausbildungen überhaupt nur dann finanzieren, wenn die Stadt ihren Ausbildungsbedarf in den Rettungsdienstbedarfsplan einstellt. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, der jetzt akut erfolgen muss, wenn der neue Rettungsdienstbedarfsplan erstellt wird. Nur so wird sich die Anzahl der Ausbildungsplätze erhöhen lassen. Langfristig wird sich diese Problematik wohl nur durch eine Änderung des §29 im Notfallsanitätergesetz lösen lassen – aber der erste Schritt muss in Münster jetzt getan werden. Denn der Fachkräftemangel wird sich zwangsläufig verschärfen, wenn sich die Ausbildungssituation nicht grundlegend ändert. Die Konsequenzen daraus trägt dann jede Bürgerin und jeder Bürger in Münster, wenn er oder sie auf den Rettungsdienst angewiesen ist.

--

Weitere Infos und Artikel finden Sie auf der Bündnishomepage.