26.01.2023 | Landesgeschäftsstelle Sachsen

Notfallrettung in Not? Fachsymposium am 2. Februar

Steigende Einsatzzahlen auch bei Bagatellen, überfüllte Notaufnahmen, Aggressionen und Gewalt gegen die Retter. Das ist der Ist-Zustand – nicht nur für die bundesweit 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Johanniter auf den Rettungswagen.

Deshalb schlägt die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. eine umfassende Reform der präklinischen Notfallversorgung vor. Was passieren muss, damit die Notfallrettung auch in Zukunft stabil funktioniert, diskutiert die Hilfsorganisation mit renommierten Fachleuten beim

Symposium „Der Patient im Mittelpunkt“
am 2. Februar 2023

in der Johanniter-Dienststelle Akkon Heidenau
Zschierener Str. 5
01809 Heidenau

„Der Patient muss wieder im Mittelpunkt stehen“, so Kevin Grigorian, Geschäftsbereichsleiter Rettung & Medizinische Dienste im Bundesverband der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. „Findet ein Patient in seiner subjektiven Notlage keine Hilfe beim Hausarzt oder unter der 116117, bleibt ihm praktisch nichts anderes übrig, als den Notruf zu wählen. Die 112 stellt sich für diese Menschen oftmals als einzig verlässliche Lösung dar. Das hohe Vertrauen in den Rettungsdienst ehrt uns. Doch nicht für jeden dieser Patienten ist der Rettungsdienst der richtige Ansprechpartner und die Ressourcen werden dadurch knapp. Damit wir keine britischen Verhältnisse bekommen, brauchen die Menschen überzeugende Alternativen zur 112. Dazu müssen wir das jetzige System der präklinischen Versorgung refomieren. Unsere Vision ist, dass die Bürgerinnen und Bürger von einer Zentralen Gesundheitsleitstelle optimal in unserem Gesundheitssystem gelenkt werden. Geschulte medizinische Fachkräfte nehmen die Anrufe entgegen und schicken entweder den Rettungswagen los oder aber zeigen praktikable Alterntiven auf“, so Grigorian.

„Wir müssen dabei auch die Menschen in Sachsen richtig aufklären. Durch die bislang eingeübte umfangreiche Versorgung hat sich bei einigen ein verhängnisvolles Anspruchsdenken entwickelt“, ergänzt Carsten Herde, Mitglied des Vorstandes der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. im Landesverband Sachsen. „Gott sei Dank ist es nicht die Regel: Aber unseren Sanitätern begegnen immer wieder Leute, die sich den Weg zum Arzt oder die Wartezeit sparen möchten und auf gepackter Tasche auf ihr ‚Spezialtaxi‘ mit Blaulicht warten. Im schlechtesten Fall ringt ein Patient ohne Hilfe mit dem Tode, während ein hochausgebildeter Notfallsanitäter woanders ein Blasenpflaster klebt. Aus der Erfahrung wissen wir auch: Patientinnen und Patienten schätzen ihren persönlichen ‚Notfälle‘ häufig falsch ein. Hier könnte die Leitstelle kompetent für Aufklärung sorgen.“ Ein erheblicher Teil der jährlichen knapp 800.000 Notfall-Einsätze – allein bei den Johannitern – wäre dann vermeidbar. Die Hilfe könnte denen zukommen, die sie dringend brauchen. Nach überschlägigen Umfragen in den 25 sächsischen Rettungwachen und Außenstellen der Johanniter wird laut Herde klar: „Bei 20 bis 25 Prozent der Rettungseinsätze wird noch nicht einmal jemand ins Krankenhaus gebracht. Hinzu kommen Fälle, bei denen der Patient mit kleinesten Beschwerden zur Abklärung in der Klinik vorgestellt wird. Zahlen, die es durch wissenschaftliche Studien zu erhärten gilt.“

Zentrale Gesundheitsleitstelle

Die Johanniter wünschen deshalb eine zentrale Gesundheitsleitstelle als Eingangstor zur ambulanten und stationären Betreuung der Patienten.

Alle Anrufe für den Rettungsdienst über die Notfallnummer 112 sowie für den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst über 116117 laufen bei einer zentralen Koordinationsstelle zusammen. Dort beurteilen speziell geschulte medizinische Fachkräfte, welche Versorgung die angemessene und individuell richtige ist. Anhand einer standardisierten Bewertungsmatrix ermitteln die Fachleute die Schwere der Erkrankung beziehungsweise Verletzung, filtern die notfallmedizinischen oder lebensbedrohlichen Anfragen. Dann disponieren die Mitarbeiter der Gesundheitsleitstelle die Hilfs- und Rettungsmittel. Über den gesamten Einsatz können im Zweifelsfall – per Datenleitung – ärztliche Fachkollegen hinzugezogen werden. Patiententransporte rein zur ärztlichen Vorstellung sind dann überflüssig. Die Patientinnen und Patienten werden künftig nur noch in die Notaufnahmen oder Bereitschaftspraxen transportiert, wenn sie nicht zu Hause behandelt beziehungsweise versorgt werden können.

Gesundheits-Lotsen-System

Verlangt das Krankheitsbild nicht den Einsatz der Notfallrettung, orientieren sich die Fachkräfte in den Gesundheitsleitstellen an zu etablierenden Interventionsfristen für definierte Krankheitsbilder. Daraufhin erhält die Patientin, der Patient eine Empfehlung für das weitere Vorgehen. Die Gesundheitsleitstelle wird so zum Patienten-Lotsen: Hilfebedürftige werden beispielsweise vermittelt an den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst, Haus- und Fachärzte oder tele-ärztliche Konsultationen. Stellt sich bei dieser heraus, dass die Patientin oder der Patient vor Ort verbleibt und ein Rezept erhalten soll, kann der Tele-Arzt dieses ausstellen und als eRezept an die zuständige Bereitschaftsapotheke versenden.

Die Leitstellen können zudem Termine bei geeigneten Gesundheitsdienstleistern buchen, die Patienten an Fahrdienste verweisen sowie an Behörden, Beratungsstellen, Organisationen und Initiativen, die sich um Menschen in Akutsituationen kümmern. Dazu gehören Kältehilfe, Frauenhäuser, soziale Dienste, Seelsorge, Psychologische Beratungsstellen oder das Jugendamt.

Das Ziel der Reform

Rettungsdienste, ambulante und stationäre Ressourcen werden effizienter genutzt – bei steigender Versorgungsqualität. Die Zuständigkeiten und rechtlichen Befugnisse sind für jeden transparent. Jede Patientin und jeder Patient erhält zeitnah, angemessene und individuelle Hilfe. Die Notfallrettung steht denen zur Verfügung, die sie dringend brauchen. Gleichzeitig entwickelt sich ein Gesundheits-Lotsen-System mit hohem Service-Potenzial bei sinkenden Kosten.