13.12.2023 | Johanniter-Schwesternschaft e.V.

Nach-gedacht: Worte zur Weihnacht 2023

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Liebe Johanniter,

in den letzten Tagen hielt ich ein Buch in den Händen mit folgendem Titel: „Der Erzählinstinkt – Warum das Gehirn in Geschichten denkt“. Der Verfasser geht davon aus, dass Geschichten pures Leben sind. Jeder von uns kennt seine Erzählungen, die sich mit seiner Person verbinden und ihm wichtig sind. Mit ihnen ist man aufgewachsen und vertraut. So wird das Leben selbst zu einer unverwechselbaren, einmaligen Erzählung, die sich verknüpft mit Erfahrungen, Familie, Freunde, gute und schwere Augenblicke. Philipp Melanchthon, ein Zeitgenosse Luthers bemerkte: „Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren.“ Davon lebt die Erzählung selbst.

Im Wort „Erzählung“ kommt ein Wort ins Spiel, das an einen anderen Gedanken anschließt: In Erzählungen kommt das zur Sprache, was zählt. Und schon bin ich bei der grundsätzlichen Frage: Was zählt im Leben? Diese Frage taucht immer wieder im Alltag auf; im Krankenhaus eine entscheidende Frage. Schien vorher die Antwort mit Begriffen wie Gesundheit, Karriere und Erfolg gefunden, so wandelt sich dies im Laufe der Zeit: Freude am Leben, Beziehungen, Freundschaft. Aus dem Wunsch, einfach nur am Leben zu bleiben, wird die Sehnsucht, im Leben zu sein, darin gehalten, sich wirklich lebendig zu fühlen.

Gerade in unserem Arbeitsalltag als Johanniter erfahren wir diesen Perspektivwechsel bei den Begegnungen mit unseren „Herren Kranken“ und spüren, wie wir selbst mit diesem Wechsel für unser eigenes Leben in Berührung kommen. Es ist eben nicht alles selbstverständlich und verfügbar. Das ist, recht betrachtet, eine alte Erzählung, die aber leider in unserer beschleunigten Zeit droht, überhört zu werden. Die stillen, ruhigen Schwingungen, die die Melodie des Lebens zum Klingen bringen soll, drohen in der Hektik zu verstummen. Ein Stück Welt scheint verloren zu gehen. Ich sehe die suchenden Augen der mir anvertrauten Patientinnen und Patienten in den Gesprächen.

In diese augenscheinliche Verlorenheit einer durch Krieg und Ungewissheit verängstigten Welt dürfen und sollen wir die weihnachtliche Erzählung wieder hören. Vielleicht haben wir die großartige Chance, diese einzigartige, wunderbare Erzählung neu zu hören: Gott wird Mensch. Er tritt uns im Kind von Bethlehem gegenüber und beginnt ein Gespräch, seine Geschichte mit uns. Wir sollen uns so wie damals die Hirten auf dem Felde, durch den Engel ansprechen lassen: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt David.“

Der menschgewordene Gott will, dass wir dem Leben vertrauen angesichts seiner Unverfügbarkeit. Der Glaube an diesen Gott ist der Resonanzboden, der die weihnachtliche Botschaft als eine wunderbare Erzählung in uns zum Schwingen bringt und in Schwingung halten will.

Liebe Johanniter, ich wünsche uns allen ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest: Christ ist geboren. Freue dich, o Christenheit.

Bernd Kollmetz
Seelsorger in den Johanniter-Ordenshäuser Bad Oeynhausen und
Fördermitglied der Schwesternschaft