Jubiläum: 70 Jahre Johanniter-Unfall-Hilfe

Dirk Walter blickt zurück

Dirk Walter engagiert sich seit 1953 ehrenamtlich für die Johanniter in Hamburg.

Die Johanniter-Unfall-Hilfe feiert in diesem Jahr das 70-jährige Bestehen: Am 7. April 1952 wurde die Hilfsorganisation als Werk des Johanniterordens ins Leben gerufen. Ein Jahr später fanden sich engagierte Ehrenamtliche in Hamburg im Namen der Johanniter zusammen. Einer von ihnen war der damals 15-jährige Dirk Walter. Im Interview blickt er zurück auf bewegte Johanniter-Jahre und auf die aktuellen Herausforderungen für Ehrenamtliche.


Sie kennen unsere Hilfsorganisation seit Ihrer Jugend. Was macht die Johanniter-Unfall-Hilfe aus Ihrer Sicht aus?
Dirk Walter: „Ich muss ein bisschen ausholen, damit Sie ein Bild von den Anfangsjahren bekommen. Seit 69 Jahren bin ich ehrenamtlich bei den Johannitern. Ganz klein angefangen haben wir damals: In den ersten Tagen hatten wir keine Uniform oder Dienstkleidung, nur Armbinden, um uns als Ersthelfer kenntlich zu machen. Die passende Kleidung kam erst später, es war eine olivfarbene Dienstkleidung, die wir sowohl bei Einsätzen, als auch bei anderen Anlässen trugen. Wir hatten keine persönliche Schutzausrüstung im Rettungs- oder Sanitätsdienst, wie unsere Einsatzkräfte sie heute ganz selbstverständlich tragen. Das kann man sich wahrscheinlich nur schwer vorstellen – aber es war so. Statt der großen, modernen Rucksäcke im Rettungsdienst trugen wir Helfertaschen aus Leder, die gab es in zwei Größen, einmal für Damen, einmal für Herren. Darin waren zum Beispiel Verbandspäckchen, alles für die Wundversorgung, Baldrian und Hoffmannstropfen untergebracht – aber noch keine Einmalhandschuhe. Die kannten wir noch nicht.

In der Anfangszeit und lange Jahre danach waren wir rein ehrenamtlich organisiert, bis in die höchsten Führungsebenen. Das Hauptamt kam erst später hinzu. Wir Ehrenamtlichen haben zum Beispiel die Erste-Hilfe-Kurse oder die Sanitätsdienste allein auf die Beine gestellt. So entstand eine tiefe Kameradschaft innerhalb der Gruppen, ein großes Vertrauen. Ich denke, das hat die Organisation sehr flexibel gemacht. Ich selbst war 1967 bereits als Delegierter für die Johanniter aktiv. Das war eine spannende Zeit, gerade in den Anfangsjahren. Es wurde viel und konstruktiv miteinander gerungen auf den bundesweiten Sitzungen, am Ende kam immer das Beste für die Organisation dabei heraus. Und ich glaube, genau das macht uns aus: Die Johanniter-Unfall-Hilfe und ihre Helferinnen und Helfer konnten sich immer an die Erfordernisse der Zeit anpassen, weil jeder von uns sein Wissen und seine Fähigkeiten im Sinne der Hilfsorganisation eingebracht hat. Heute sind wir eine der größten Hilfsorganisationen Deutschlands. Das macht mich sehr stolz. Meine erste Helfertasche habe ich übrigens noch immer: Sie ist mittlerweile aber nach den aktuellen Vorgaben für einen modernen PKW-Verbandskasten gefüllt – natürlich sind jetzt auch Einmalhandschuhe enthalten.“

In den vergangenen Jahren haben die Johanniter den Menschen in zahlreichen akuten Krisen helfend zur Seite gestanden: in der Flüchtlingshilfe ab 2015, in den Pandemiejahren, nach mehreren Flutkatastrophen und jetzt ganz aktuell helfen die Johanniter den Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Haben sich die Aufgaben der Johanniter, besonders im Ehrenamt, bzw. die Anforderungen an unsere Hilfsorganisation seit der Gründung verändert und wenn ja, inwiefern?
Dirk Walter:„Die Aufgabe der Johanniter-Unfall-Hilfe war und ist die Hilfe am Menschen. Das hat sich seit der Gründung nicht verändert. Im Gegenteil: Schon 1956 waren wir in der Flüchtlingshilfe aktiv, damals war es die Ungarn-Hilfe. Der Volksaufstand der Ungarn war von der sowjetischen Armee im November 1956 blutig niedergeschlagen worden, viele Menschen flohen über Österreich in den Westen, auch nach Hamburg. In einer Kaserne in Bergedorf haben wir die Geflüchteten versorgt, Essen ausgeteilt, Verbände angelegt. So wie heute. Auch bei der Flutkatastrophe 1962 in Hamburg haben die Johanniter geholfen – mit einfachster Ausrüstung! Nach dem Erdbeben in Norditalien 1976 in Friaul waren Hamburger Helfer vor Ort. Damals wie heute leisten die Johanniter Hilfe für Menschen in Notlagen. Was sich aber geändert hat, sind die technischen Hilfsmittel.

Rückblick 1959: So sah der Unfallwagen der Johanniter früher aus.

Ich kann von ein paar Beispielen berichten, die zeigen, wie es früher war: Als wir unsere ersten Einsätze im Rettungsdienst auf der Autobahn rund um Hamburg fuhren, hatten wir keinen eigenen Funk und kein Telefon in unserer provisorischen „Wache“. Von Unfällen haben wir über den Polizeifunk gehört. Dann sind wir zur Unfallstelle gefahren – mit unserem Unfallwagen, es war kein Rettungswagen im heutigen Sinne. Die verletzten Personen haben wir notdürftig versorgt und sie schnellst möglich ins Krankenhaus gefahren. Ein Notarzt kam nicht hinzu. Selbst bei schweren Unfällen damals im Hamburger Hafengebiet ging das so: Patient schnell einladen und ab ins nächste Krankenhaus. Die medizinische Versorgung am Unfallort ist heute viel professioneller und weitreichender – zum Glück! Es ist eine enorme technische Entwicklung in den letzten 70 Jahren gewesen.

Einer unserer ehrenamtlichen Helfer damals war ein Techniker von der Post. Damit wir uns von den Einsätzen auf der Autobahn zurückmelden konnten, hatte er ein transportables Gerät, dass er an den Telefonkasten an der Straße anschließen konnte: So konnten wir telefonieren und uns wieder einsatzbereit melden!

Erst später hatten auch wir Hilfsorganisationen unsere eigene Funkfrequenz, allerdings haben die vier ehrenamtlichen Organisationen, also das DRK, der ASB, die Malteser und wir, sich zunächst eine Frequenz geteilt. Das führte zum Teil zu kuriosen Begegnungen. Ich erinnere mich an eine Großveranstaltung mit dem amerikanischen Prediger Billy Graham im Stadtpark in den 1960er Jahren, bei der alle vier Hilfsorganisationen den Sanitätsdienst leisteten – an jeder Ecke eine. Wenn wir über den Funk hörten, dass ein Gast medizinische Hilfe benötigte, dann trafen sich Ehrenamtliche aller Organisationen am selben Unfallort, um Hilfe zu leisten. Befördern durften wir die versorgten Patienten nicht. Sie mussten noch am Unfallort von den Tragen der Hilfsorganisationen auf die Trage der Hamburger Feuerwehr umgelagert werden, um dann mit dem Unfallwagen der Feuerwehr zum Krankenhaus gebracht zu werden. Das war in Hamburg damals so üblich.

Das ist heute natürlich anders. Und es sind neue Bereiche für ehrenamtliches Engagement hinzugekommen, zum Beispiel in der Begleitung von älteren Menschen oder in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.“

Was sind Ihre Empfehlungen und Wünsche an die engagierten Ehrenamtlichen von heute?
Dirk Walter:„Der Schlüssel ist eine gute Ausbildung: Ich wünsche mir weiterhin ein so gut ausgebildetes Ehrenamt, und zwar nicht nur im Rettungs- oder Sanitätsdienst, sondern auch im Katastrophenschutz oder in der Arbeit mit älteren Menschen und mit Kindern und Jugendlichen. Nur, wer gut ausgebildet ist, ist vorbereitet auf die Einsatzlagen, in denen es auf Durchhalten und Resilienz ankommt. Das sehen wir gerade in der Pandemie und aktuell in der Hilfe für die Geflüchteten aus der Ukraine. Aber auch Kommunikation ist wichtig: Ich meine die sachliche und faire Kommunikation innerhalb der eigenen Gruppe oder Staffel, aber auch zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Wer offen und ehrlich kommuniziert, entwickelt auch ein Verständnis für den anderen und seine Sichtweise. Das liegt mir sehr am Herzen. Nur so bleiben Ehrenamtliche einer Organisation lange erhalten und gehen nicht bei kleineren Diskussionen. Ich wünsche mir die gegenseitige Wertschätzung für die Leistung, die alle Johanniterinnen und Johanniter, haupt- und ehrenamtlich, für unsere Hilfsorganisation und für die uns anvertrauten Menschen erbringen.“