Kriseninterventionsdienst im Landkreis Harburg

„Wir sind gut darin, einfach da zu sein und Schweigen auszuhalten“

Sie können das Schweigen aushalten: Ingo und Birgit zum Felde (von links) und Katharina Stiege vom Kriseninterventionsdienst der Johanniter.

Seit zehn Jahren ist der Kriseninterventionsdienst (KID) der Johanniter im Landkreis Harburg unterwegs, um Betroffene nach unerwarteten Todesfällen zu betreuen.


Elf ehrenamtliche Helfer zählten im Gründungsjahr 2011 zum Team, drei davon sind Birgit und Ingo zum Felde sowie Katharina Stiege. An den allerersten Einsatz kann sich Birgit zum Felde noch gut erinnern: „Wir haben uns unendlich viele Gedanken gemacht, was uns wohl erwarten wird und wie die Klienten auf uns reagieren würden. Wir wurden zu einer todkranken Frau gerufen, deren Mann, der sie pflegte, völlig unerwartet gestorben war.“ Der Rettungswagen sei bereits weg gewesen und die Frau wartete mit der Leiche ihres Mannes auf den Bestatter. „Wir sind dann zu der Frau gegangen und haben uns mit den Worten vorgestellt: Wir sind von den Johannitern und haben für Sie Zeit“, sagt Birgit zum Felde. Die Klienten können das Erlebte häufig schwer in Worte fassen. „Wir sind gut darin, einfach da zu sein und Schweigen auszuhalten“, sagt die 55-Jährige. So habe sich die Frau im Laufe des Abends geöffnet und konnte ihrer aufgestauten Wut – weil ihr Mann sie „einfach allein gelassen“ habe – freien Lauf lassen.

„Heute hat fast jeder Polizist schon von uns gehört“
In den vergangenen zehn Jahren hat sich auch in der Außenwahrnehmung viel verändert: „In den Anfangsjahren mussten wir den Einsatzkräften erst einmal erklären, was unsere Aufgabe ist. Heute hat fast jeder Polizist und jeder Rettungsdienstmitarbeiter schon von uns gehört und oft auch schon mit uns zusammengearbeitet“, erklärt Ingo zum Felde, der bereits mehr als 200 Einsätze absolviert hat. Der 56-Jährig erlebe oft, dass Einsatzkräfte erleichtert seien, das KID-Team zu sehen, weil sie wüssten, dass sie gehen können und die Zugehörigen Entlastung erfahren.

Wenn das Kriseninterventionsteam gerufen wird, ist immer etwas Schreckliches passiert: Ein Angehöriger ist plötzlich gestorben – in der Häuslichkeit, bei einem Unfall oder durch Suizid. Das Team kümmert sich dann auch um Unfallzeugen, Ersthelfende oder bleibt bei den Betroffenen, denen die Polizei zuvor eine Todesnachricht überbracht hat. Die Motivation für sein ehrenamtliches Engagement fasst Ingo zum Felde so zusammen: „Wenn ich weggehe, weiß ich, dass ich jemandem geholfen habe. Es geht demjenigen ein bisschen besser als wenn ich nicht da gewesen wäre.“ Und Katharina Stiege ergänzt: „Diese unmittelbare Wirksamkeit unserer Arbeit motiviert uns, weil ein Klient handlungsfähiger ist als vorher.“

Seit zehn Jahren dabei: Katharina Stiege (links) und Ingo und Birgit zum Felde.

Durch entlastende Gespräche Sprachlosigkeit überwinden
Während der Hochwasserkatastrophe im Sommer wurde das Harburger Kriseninterventionsteam vom Land Niedersachsen für zwei mehrtägige Einsätze in Ahrweiler angefordert. „Die individuellen – zum Teil extremen – Erlebnisse der Hochwassernacht, der Verlust aller materiellen Güter oder die Widrigkeiten des Lebens ohne Strom, Trinkwasser und Gas, der Staub und der Lärm bewegten die Menschen sehr stark. Durch entlastende Gespräche konnten wir helfen, die Sprachlosigkeit zu überwinden“, berichtet Ingo zum Felde.

Ehepaar zum Felde und Katharina Stiege haben zusammen mehr als 500 Einsätze absolviert – 500 Mal Menschen beigestanden, die völlig unerwartet einen geliebten Menschen verloren haben. Doch Routine gibt es nie. Damit sie helfen können, haben sie eine umfassende Ausbildung bei den Johannitern absolviert und sind auf verschiedenste Situationen vorbereitet. "Ich habe gelernt – egal, was ich bei einem Einsatz vorfinde – es ist nicht mein Angehöriger, der gestorben ist und ich kann nicht helfen, wenn ich mich emotional zu sehr in die Situation reinhänge", sagt Katharina Stiege (59).

24-Stunden-Bereitschaft an 365 Tagen im Jahr
Das ehrenamtliche Kriseninterventionsteam besteht aus 25 Teammitgliedern, die alle einen Beruf haben, dem sie nachgehen und können trotzdem eine 24-Stunden-Bereitschaft an 365 Tagen im Jahr sicherstellen. Wie wichtig die ehrenamtliche Arbeit ist, merkt das Team bei fast jedem Einsatz, wenn Betroffene einfach unendlich dankbar sind. „Wir kommen ja immer in Verbindung mit einer sehr schlechten Nachricht. Zum Abschluss eines Einsatzes sagte mir mal ein Klient, dass es zwar ein schrecklicher Tag gewesen sei, aber dass wir heute da waren, sei das Beste, das ihm passieren konnte“, erzählt Birgit zum Felde.

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