Dirk

Dirk arbeitet als Haustechniker im Johanniter-Stift Köln-Flittard.

Ich habe es vorgezogen, meine Menschlichkeit zu behalten

„Meine erste Arbeitsstelle, das war in einer riesigen, alten DDR-Fabrik. Ich wusste schon damals: Lange will ich da nicht bleiben. Ich habe meine Jugend in Ost-Berlin und Brandenburg verlebt. Die Arbeit war anstrengend, ich war Tag ein Tag aus an der Maschine – zusammen mit meiner Familie und 3000 anderen Angestellten. Die Hallen waren aus dem zweiten Weltkrieg, das waren so riesige alte Backsteingebäude. Im Sommer war dort drinnen sengende Hitze, im Winter war es oft bitterkalt. Man war jeden Tag ausgelaugt, hat Schichten am Stück geschoben, war ölverschmiert. Naja und das Menschliche – das hat vollkommen gefehlt. Viel hat man sich dort nicht unterhalten.

Da kam mir die Einberufung zum Wehrdienst damals natürlich gerade gelegen. Aber wie sagt man so schön? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Die Realität und das, was man vielleicht im Fernsehen sieht – den Soldaten mit dem Kind auf dem Arm – klafften in Wirklichkeit ganz schön weit auseinander. Im Nachhinein kann ich sagen: Mit meinen Erfahrungen dort habe ich dann endgültig das letzte bisschen Kindheit, was mir vielleicht noch geblieben ist, abgelegt. Früher hieß es immer: Wenn ihr von der Armee weg seid, dann habt ihr nur noch die positiven Erinnerungen im Kopf. Dem kann ich nur widersprechen, denn ich habe dort sehr viel erlebt.

In so einer Einheit kommen die unterschiedlichsten Charaktere zusammen. Damit muss man erstmal umgehen. Und weil ich später dann als Vorgesetzter grundsätzlich meine Soldaten zuerst – also vor mir – zum Essen ließ, musste ich wegen Ungehorsam in den Arrest gehen. Man musste also schon die ein oder andere Schikane überstehen.

Eigentlich hatte ich mich für viel länger verpflichtet – aber nach 7 Jahren habe ich um meine Entlassung gebeten. Dafür musste ich zwar um zwei Dienstgrade nach unten gehen – aber ich habe es vorgezogen, meine Menschlichkeit zu behalten, anstatt irgendwelchen Rangzeichen, Titeln oder Marken nachzurennen.“

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Als Haustechniker bin ich so rund 11 Kilometer auf den Beinen über den Tag

Kopf und Schultern eines kahlköpfigen Mannes mit weißem Kinnbart in einem Poloshirt in Türkis. Er steht im Freien neben einem Baum und lächelt in die Kamera.

„Seit 2015 bin ich bei den Johannitern – irgendwie fühlt es sich so an, als wäre ich endlich mal angekommen. Davor bin ich recht viel herumgekommen. Während meiner Selbstständigkeit als Bodenleger zum Beispiel habe ich in fast jedem europäischen Land gearbeitet. Ich war jung, ich wollte Geld verdienen, mir etwas aufbauen und noch was leisten. Oft bin ich die Nächte von Auftrag zu Auftrag durchgefahren, um rechtzeitig fertig zu werden. Kam schon mal vor, dass man auf den Baustellen die Nacht verbracht hat. Das längste, was ich mal durchgearbeitet habe, waren 36 Stunden. Aber mir hat das nichts ausgemacht. Wenn man weiter Aufträge bekommen will, muss man eben die Zähne zusammenbeißen und durchhalten.

Das war schon anstrengend, aber mir hat es gefallen, das viele Reisen fand ich schön. Es gibt für alles eine Zeit im Leben.

Jetzt fahre ich zwar nicht mehr durch ganz Europa, aber bei meiner Stelle als Haustechniker bin ich trotzdem noch viel unterwegs. Letztens habe ich mir einen Schrittzähler besorgt – so rund 11 Kilometer bin ich auf den Beinen über den Tag. Außerdem bin ich ein umgänglicher Typ, es gibt eigentlich keinen, mit dem ich mich nicht verstehe. Und das Wichtigste: Meine Arbeit macht mir wirklich Freude – es ist weitaus vielseitiger, als nur verstopfte Waschbecken zu entleeren.

Ich kümmere mich um meine alten Leutchen – ob es ein kurzer Kaffeeklatsch ist oder es darum geht, ein Bild an die Wand zu hängen. Ich mache das auf meine ganz eigene Art. Wenn ich dann in dankbare Augen blicke, weiß ich, dass ich angekommen bin. Ich habe das Gefühl, gebraucht zu werden. Und das macht mich einfach glücklich.“

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Diese Stille da unten ist unvergleichbar

Ein kahlköpfiger Mann mit weißem Kinnbart vor einem Schrank mit vielen verschiedenfarbigen Kabeln

„Ich liebe das Wasser, habe es schon immer geliebt. In Berlin habe ich ein altes Kajütboot – das ist noch von meinen Eltern. Ich bin mit Booten und im Yachtclub praktisch groß geworden. Als ich acht war, hat mich mein Vater das erste Mal Motorboot fahren lassen – später dann habe ich 12 Jahre Tauchsport betrieben. Zu DDR-Zeiten war das ja noch so, dass man dafür in der Gesellschaft für Sport und Technik Mitglied sein musste. Das war so eine Art vormilitärisches Ding – nur so konnte man auch bei Wettkämpfen mitmachen.

Aber es ging mir nicht nur um Wettkämpfe, manchmal habe ich mich auch einfach in klaren Gewässern auf den Grund sinken lassen. Diese Stille da unten ist unvergleichbar: Alles ist gleichmäßig. Die Bewegungen der Fische, die Reflexion von Lichtstrahlen, das stetige Schwingen der Algen. Diese Ruhe da unten hat sich automatisch auf mich übertragen. Man sitzt mit seiner Sauerstoffflasche und zwei, drei Bleigürteln um die Hüfte auf dem Grund und alles über Wasser, alles, was da oben ist, geht einen auf einmal gar nichts mehr an.

Ich sag es, wie es ist: In meinem Leben hat es schon einige Rückschlage gegeben. Ich war nach mehreren Arbeitsunfällen 10 Jahre arbeitsunfähig, konnte mich nach den Operationen kaum mehr bewegen. Auch heute noch bin ich praktisch nie schmerzfrei. Ich habe zwei Elektroden in der Wirbelsäule und ein Implantat – dadurch geht es ein bisschen besser. Aber wären meine Kinder und meine Frau nicht gewesen, wäre es mir schwergefallen, diesen Zeiten immer auch etwas Gutes abzugewinnen. Heute ist für mich der Schlüssel zum Glück einfach: Ich möchte anderen Menschen mit meiner Arbeit etwas zurückzugeben.“

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