9 leitende Prinzipien für alle Mitarbeitenden

Um Menschen weltweit zukünftig noch wirkungsvoller und nachhaltiger unterstützen zu können, hat die Johanniter Auslandshilfe ihr internes Führungsprinzip grundlegend überarbeitet. Das Ende des Jahres intern verabschiedete „Leadership Concept“ enthält verbindliche Richtlinien, die festlegen, wie und nach welchen Prinzipien alle Mitarbeitenden miteinander umzugehen haben. Es ist ein wichtiger Teil der Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie 2027.

Mit dem Begriff „Leadership“ ist nicht gemeint, dass nur Führungskräfte die neuen Prinzipien umsetzen. Vielmehr sind alle Mitarbeitenden, egal in welcher Position, eingeladen, in ihrem Arbeitsbereich ihren Teil zur neuen Kultur der gegenseitigen Fürsorge beizutragen und jeden Tag Verantwortung dafür zu übernehmen. Führungskräfte übernehmen dabei die Aufgabe, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeitende diese Prinzipien wirklich leben können.

In der Entstehungsphase ab Sommer 2021 wurden Kolleginnen und Kollegen aller Ebenen aus dreizehn Johanniter-Länderbüros weltweit und aus der Bundesgeschäftsstelle in den Prozess einbezogen. Bis Januar 2022 ging es in Einzelinterviews und Gruppendiskussionen darum, herauszufinden, wie Führung in der Johanniter-Auslandshilfe bis dahin wahrgenommen und gestaltet wurde und welche Meinungen die Mitarbeitenden dazu hatten. Die gesamte Auslandshilfe wurde dahingehend überprüft, inwieweit sie den Prinzipien Geschlechtersensibilität, Integration, Kultursensibilität und Förderung des Wohlbefindens
und Schutzes entspricht. In Phase zwei entwickelten dann kleine Arbeitsgruppen auf dieser Grundlage gemeinsam mit dem Projektteam Entwürfe für die neuen Leitlinien.

Aktionsplan für den Alltag

Damit sich letztendlich jede und jeder Auslandshilfe-Mitarbeitende darin wiederfinden kann, wurden die Entwürfe im Sommer 2022 organisationsweit in Gesprächen im Feld sowie in der Zentrale diskutiert und weiterentwickelt. „Insgesamt war mehr als die Hälfte aller unserer Mitarbeitenden an der Entwicklung beteiligt“, beschreibt Projektleiter Patrick Mathé den Veränderungsprozess. Entstanden ist ein Dokument, das leicht verständlich und praxisnah die neuen Leitlinien beschreibt. Dazu gehört ein Aktionsplan mit Beispielen aus dem Alltag der Mitarbeitenden, damit das neue Konzept nicht nur Theorie bleibt und von allen leicht umgesetzt werden kann.

9 Prinzipien für ein gutes Miteinander

Die wichtigsten Elemente des finalen Konzepts, das in einem interaktiven Workshop im Januar 2023 allen Mitarbeitenden vorgestellt wurde, sind die 9 Leitprinzipien. Sie bestehen jeweils aus einem prägnanten Titel und einer kurzen Erläuterung dessen, was mit dem Prinzip konkret gemeint ist – alles möglichst alltagsnah. Dass sie an allen Prinzipien arbeiten wollen, beweisen die Mitarbeitenden seither. Denn die Neuerung wurde von ihnen von Anfang an interessiert aufgenommen. „Das Feedback zu der neuen Kultur war stets sehr ausgeprägt. Auch die Kick-off-Veranstaltung hatte eine deutlich überdurchschnittliche Beteiligungsquote“, sagt Mathé.

Das sind unsere 9 Leitprinzipien:

Wir betrachten Würde und Vielfalt als Kern des Selbstwertgefühls
eines Menschen.

Wir respektieren und schätzen jeden Menschen mit seinen Rechten, seiner
Würde und seiner Vielfalt. Wir sind sensibel, aufmerksam und immer
offen dafür, Dinge hinzuzulernen, die die Würde anderer betreffen, seien
es andere Mitarbeitende, Führungskräfte, Partnerorganisationen oder die
Gemeinden und Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir sehen
die Unterschiede, die Vielfalt mit sich bringt, nicht als Problem. Vielmehr
schätzen und respektieren wir sie und gewährleisten Chancengleichheit
für alle. Wir schätzen Ansätze und Prozesse, die Beiträge einer Vielzahl
von Menschen einbeziehen und fördern, und sind neugierig, interessiert
und offen für andere Wege und neue Ideen.
Wir sind uns der Macht und der Privilegien bewusst, die wir als
Individuen und als Organisation besitzen, und teilen sie zum Nutzen
anderer.

Um Führung auf allen Ebenen zu praktizieren, entwickeln wir in unserer
täglichen Arbeit ein Verständnis für Macht und ihre Verbindungen zu Privilegien.
Wir sind bereit, darüber zu diskutieren, wie Macht und Privilegien
funktionieren und wie wir sie mit anderen teilen können. Indem wir unsere
Macht klug nutzen, fördern wir Engagement und Integration. Wir schaffen
ein Umfeld, das für Neues offen ist und bauen Vertrauen auf.
Wir investieren in Vertrauensbildung, denn das ermöglicht es uns,
effektiv miteinander zu arbeiten.

Wir fördern aktiv Vertrauen und sind bestrebt, ein sicheres Umfeld zu
schaffen, in dem wir ohne Furcht agieren können und uns nicht vor
anderen schützen müssen.

Bei unseren Differenzen, Konflikten und Meinungsverschiedenheiten geht
es um Konzepte und Ideen, nicht um persönliche Angriffe. So können wir
unsere Gedanken, Ideen, Herausforderungen und Sorgen mitteilen, ohne
Angst haben zu müssen, zurückgewiesen, beurteilt oder bestraft zu werden.
Wir sind uns unserer selbst bewusst, nehmen Rücksicht auf andere
und stellen sicher, dass unser Verhalten von gegenseitigem Respekt
geprägt ist.

Bei der Selbsterkenntnis geht es darum, uns selbst, unsere Stärken und
Schwächen zu kennen, unsere Wirkung auf andere zu verstehen und
unser Verhalten entsprechend anzupassen.

Wir bedenken stets, wie sich unsere eigenen Handlungen und unser
Verhalten auf andere und auf die Organisation auswirken, damit wir
in unseren Interaktionen und bei allem, was wir tun, bewusst handeln
können. Indem wir uns in Selbsterkenntnis üben, schaffen wir ein Umfeld
für eine effektive und respektvolle Zusammenarbeit.
Wir wissen, dass effektive Kommunikation die Bereitschaft aller
Mitwirkenden steigert, zur Erreichung unserer gemeinsamen Ziele
beizutragen.

Kommunikation bedeutet nicht nur Reden und Informieren, sondern auch
Zuhören, um die Sichtweisen und Erlebnisse anderer zu verstehen und zu
berücksichtigen. Wir kommunizieren, damit sich die Menschen um uns
herum informiert fühlen und unsere Erwartungen verstehen. Unsere
Kommunikation, ob verbal oder nonverbal, respektiert die Vielfalt und ist
kulturell sensibel. Unsere mündlichen und schriftlichen Botschaften sind
leicht verständlich und zugänglich.
Wir tragen zu einem Umfeld bei, in dem gegenseitige Wertschätzung
und Befähigung von allen aktiv gelebt wird.

Wir würdigen die Bemühungen anderer zur Erreichung unserer
gemeinsamen Ziele und sagen es ihnen. Wie nehmen uns die Zeit, unsere
Erfolge zu feiern, erfüllen unsere Arbeit mit Freude und schaffen Raum
für Kontakte und gemeinsames Lachen.

Rollen, Verantwortlichkeiten und die aneinander gestellten Erwartungen definieren wir klar, damit unsere
Mitarbeitenden für die Erreichung unserer Ziele ihr Bestes geben können.
Wir sind für unsere Entscheidungen und Handlungen selbst
verantwortlich. Darum sind wir bereit, für diese Entscheidungen
und unser Verhalten einzustehen.

Unsere Verantwortung und unsere Rechenschaft bei der Ausübung
unserer Rolle gelten gegenüber den Menschen, mit denen wir intern und extern
zusammenarbeiten. Wir sind auch gegenüber der Organisation und
unseren Unterstützern rechenschaftspflichtig. Wir tragen zur Erreichung
der gemeinsamen Ziele bei, anstatt unsere eigene Agenda und persönliche
Interessen zu verfolgen. Wenn unser Handeln zu einem Fehler führt
oder unser Verhalten als unangemessen empfunden wird, übernehmen
wir die Verantwortung, daraus zu lernen, und betrachten es als Chance
für gemeinsames Lernen, Entwicklung und Wachstum.
Wir kümmern uns um unser eigenes körperliches, geistiges und
seelisches Wohlbefinden und um das körperliche, geistige und
seelische Wohlbefinden anderer.

Wir arbeiten proaktiv auf ein gesundes und unterstützendes Umfeld hin,
indem wir uns um unser Wohlbefinden kümmern und andere ermutigen
und unterstützen, dasselbe zu tun.
Wir achten auf das Wohlbefinden anderer, denn ihre Bedürfnisse können
sich von unseren unterscheiden, und bemühen uns, ihnen die Last abzunehmen,
sich für ihre Bedürfnisse zu rechtfertigen und deren Erfüllung
einfordern zu müssen.
Wir planen und organisieren unsere Arbeit so, dass wir das Wohlergehen
anderer anerkennen und ihre Situation außerhalb des Arbeitsplatzes
respektieren.
Wir sind offen für Veränderungen und begrüßen sie.

Wir wissen, dass Veränderung die einzige Konstante ist. Wir akzeptieren
Wandel in unserem Arbeitsalltag und passen uns ihm an. Wir begrüßen
den Wandel als Teil unserer Agilität.

Innovationen sowie neue Technologien, Konzepte und Prozesse sind uns willkommen, denn sie helfen uns
und der Organisation, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Wir
verlassen unsere Komfortzone und freuen uns auf neue Entwicklungen.

Den Wandel annehmen

Die neun Teammitglieder der Landeskoordinatorin Borany Huon in Kambodscha zum Beispiel sehen die neuen Leitlinien jeden Tag auf einem Aufsteller, wenn sie ins Büro kommen. Und mindestens zwei der Prinzipien durften sie schon erproben. „Wir sind vor kurzem in ein neues Büro gezogen. Die Veränderung fiel den Kolleginnen und Kollegen zuerst nicht leicht“, sagt Huon. „Aber seit sie gesehen haben, wie schön es ist und dass wir hier jetzt einen Aufenthalts-, einen Yoga- und sogar einen Raum zur Betreuung unserer Kinder haben, verbringen sie hier sehr gern ihre Zeit und wir sind als Team noch mehr zusammengewachsen.“

Auch Boniface Lakony aus dem Johanniter-Büro im Südsudan weiß zu schätzen, dass bei den Johannitern das Wohlbefinden jedes Kollegen und jeder Kollegin gefördert wird. „Meine Frau und ich haben Zwillinge bekommen, die Frühchen waren und deshalb medizinisch behandelt werden mussten. Das war schwer für uns, denn ich wollte für meine Familie da sein und gleichzeitig meine Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich lassen“, erzählt er. „Zum Glück durfte ich von zu Hause aus arbeiten und habe einen Gehaltsvorschuss bekommen, um die Behandlungen bezahlen zu können. Das war großartig.“ Auch er wird in Zukunft noch bewusster die anderen Mitglieder seines Teams unterstützen.

Bis die neue Führungskultur bei wirklich allen Mitarbeitenden bekannt ist und gelebt wird, liegt noch ein spannender Weg vor der Personalabteilung und allen Mitarbeitenden der Auslandshilfe. „Wir freuen uns auch weiterhin auf den Prozess, ganz nach dem Prinzip ‚Den Wandel annehmen‘“, sagt Patrick Mathé.