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02.09.2021 | Regionalgeschäftsstelle Aachen

„Ihr seid nicht alleine, wir helfen euch“

Von der Verpflegung für Einsatzkräfte bis zu Waschmaschinen für Flutopfer: Anuschka Köhler, ehrenamtliche Bevölkerungsschützerin bei den Johannitern, ist seit nun sieben Wochen in der Fluthilfe aktiv.

Eine junge Frau mit Mundschutz in blauer Jacke und roter Einsatzhose befördert mit einer Sackkarre eine Waschmaschine mit den Aufklebern "Aktion Deutchland Hilft" und "Johanniter, Hochwasserhilfe Nordrhein-Westfalen"r
Anuschka Köhler hat viele betroffene Menschen aufgesucht und bei Bedarf eine gespendete Waschmaschine angeliefert.

Kurz vor der Geburt des ersten Kindes wollten sie noch einmal in den Urlaub fahren. Nach der Rückkehr gab es für das junge Paar kein Zuhause mehr: Das extreme Hochwasser der Vicht hatte die gesamte Stolberger Wohnung zerstört. Als Anuschka Köhler mit einer gespendeten Waschmaschine zu ihnen kam, lebte das Paar in einer neuen, unmöblierten Wohnung und schlief auf einer Luftmatratze. „Hier habe ich gleich gewusst: Das ist ein Härtefall“, sagt sie. Nun können die beiden wenigstens ein paar neue Sachen für das Kind kaufen, das im September erwartet wird.

Vom ersten Tag der Hochwasserkatastrophe war der ehrenamtliche Bevölkerungsschutz der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) in der Region Aachen-Düren-Heinsberg mit vielen Helfern und Helferinnen im Einsatz. Sie richteten Betreuungsstellen ein, suchten mit Rettungshunden nach Verschütteten, stellten Fachberater im Stab, verpflegten Feuerwehren im Einsatz, sortierten und verteilten Sachspenden, erkundeten Gebiete mit den Motorrädern und verteilten Mahlzeiten an Betroffene und deren Helferinnen und Helfer. Anuschka Köhler, 27, ist eine der Johanniter im Einsatz.

Zunächst ging es in den Tagen und Nächten des akuten Hochwassers um die ganz handfeste Hilfe. Drei Tage lang hat Anuschka Köhler zusammen mit weiteren Johannitern ehrenamtlich die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW) und Rettungsdiensten an diversen Einsatzstellen mit Mahlzeiten versorgt.

„Ja, ein paar Stunden Schlaf gab es dazwischen“, berichtet Anuschka Köhler. „Viel war es aber nicht, das Adrenalin hält wach.“ Für Feuerwehren war es eine große Erleichterung, sich nicht selbst um die Verpflegung der Einsatzkräfte kümmern zu müssen – sie hatten in diesen Tagen hart mit dem Hochwasser zu kämpfen. Und da Anuschka Köhler Urlaub hatte, ging es gleich weiter, auch als die Wasserstände sanken:
In Eschweiler waren die Johanniter gefordert, zusammen mit anderen Hilfsorganisationen Verpflegungsstellen für die Menschen aufzubauen, die selbst vom Hochwasser betroffen waren, keine Kochgelegenheit, keinen Strom oder gar keine Wohnung mehr hatten. „Hier ging es um mehr, als nur Essen zu verteilen“, erzählt Anuschka Köhler. „Die Betroffenen hatten das Bedürfnis, ihre Geschichten zu erzählen und waren sehr dankbar, dass wir da waren.“

In der ersten Augustwoche, zum Glück hatte Anuschka Köhler noch immer Urlaub, kam die nächste Herausforderung: Durch eine Großspende eines Hausgeräteherstellers via „Aktion Deutschland Hilft“ konnten die Johanniter insgesamt 500 nagelneue Waschmaschinen an Flutopfer verteilen, 100 davon waren für die Region Aachen-Düren-Heinsberg. Zusammen mit einem kleinen Team übernahm Anuschka Köhler die Aufgabe, die Anfragen zu erfassen und Kontakt aufzunehmen. „Ich telefoniere mit jedem, stelle Tourenpläne auf und mache Termine“, erzählt sie. Das ist gar nicht so einfach, denn die Betroffenen haben viele Probleme zu lösen und Termine einzuhalten.

Anuschka Köhler besucht alle Anfragenden selbst, macht sich einen Eindruck von der Situation und schätzt die Notlage ein: „Zum Glück haben wir bereits die Möglichkeit, Anträge auf Spenden aus der Aktion „NRW hilft“ entgegenzunehmen. Das ist mit einigem Formularkram verbunden, aber natürlich wichtig, um alles fair und transparent zu halten“, sagt sie. Sie nimmt sich immer Zeit bei ihren Besuchen in den meist betroffenen Orten Eschweiler, Weisweiler, Stolberg, Vicht, Zweifall, Herzogenrath, Kreuzau, aber auch vereinzelt im Kreis Heinsberg. „Alle Menschen, die wir besucht haben, begegnen uns mit großer Hoffnung. Sie führen uns durchs Haus – oder das, was davon übrig ist.“ Die Geschichten sind zahllos und immer wieder traurig.

Schnell wurde Anuschka Köhler klar, dass es um mehr gehen muss, als nur Geld auszuzahlen.
Da ist der 82-Jährige, der vor der Flut allein in seinem nun nicht bewohnbaren Elternhaus lebte. Oder die ältere Dame, die bis auf ihren kranken Hund und die Handtasche nichts aus ihrer Wohnung retten konnte. Sie lebt nun vorwiegend in ihrem Auto und übernachtet gelegentlich bei der Tochter. „Jetzt hat sie eine neue Wohnung gefunden, braucht aber unbedingt weitere Betreuung und Hilfe“, sagt Anuschka Köhler. Sie hat sich selbst darum gekümmert, dass die neue Waschmaschine raufgetragen und angeschlossen wurde, findet es aber auch außerordentlich wichtig, dass die Dame seelsorgerische Betreuung hat. „Den Kontakt möchte auch ich auf jeden Fall weiter halten.“

Bei jedem Kontakt mit vom Hochwasser betroffenen Menschen gibt es Tränen, heißt es Zuhören und Mut zusprechen.

Anuschka Köhler: „Es ist sehr sehr wichtig, auch die Menschen zu erreichen, die allein stehen oder nicht durch Facebook und Co. Hilfe suchen und finden können. Dafür braucht man Zeit. Die Menschen müssen spüren, dass jemand für sie da ist, an ihrer Seite steht. Einen Lichtblick und Hoffnung, darum geht es genauso wie um Geld.“

Aus diesem Grund seien die Menschen auch so außerordentlich dankbar für die Hilfsbereitschaft der Nachbarn und der Bevölkerung überhaupt.

Inzwischen sind die Urlaubstage von Anuschka Köhler vorbei; jetzt setzt sie ihre raren freien Stunden für die Flutopfer ein. Die Hilfe, die sie und das „Waschmaschinen-Team“ geben können, ist wichtig, hat aber auch gezeigt: Das reicht noch lange nicht.
Die Menschen in den betroffenen Gebieten brauchen langfristig professionelle Helferinnen und Helfer an ihrer Seite, die beraten, unterstützen, Wege weisen und natürlich auch Spendengelder vermitteln. Die Johanniter-Unfall-Hilfe im Regionalverband wird diese Hilfe in Kürze strukturiert aufbauen.