21.09.2022 | Johanniter Seniorenhäuser GmbH

Zum Welt-Alzheimertag: Experten-Tipps im Umgang mit Betroffenen

„Ruhig bleiben und auf den Menschen eingehen“/ „Nur wer sich selbst gut pflegt, kann andere gut pflegen.“

Bewohnerin bastelt mit Kastanien

In Deutschland leben laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ca. 1,6 Millionen Menschen mit Demenz, weltweit sind es über 50 Millionen. Dabei sind die meisten von Ihnen an der sogenannten Alzheimer-Demenz (auch Alzheimer oder Morbus Alzheimer genannt) erkrankt. Sie zählt als häufigste neurodegenerative Erkrankung und ist gekennzeichnet durch den langsam fortschreitenden Verlust von Nervenzellen. Carmen Paul ist Pflegedienstleitung im Johanniter-Haus Köln-Porz, eine Senioreneinrichtung samt Tagespflege. Zum Welt-Alzheimertag gibt sie hilfreiche Tipps für Angehörige im Umgang von Alzheimer- und Demenzerkrankten, erklärt wann man sich Hilfe von Dritten holen sollte und wo Pflegende Unterstützung bekommen können. 

Frau Paul, zu den häufigsten und bekanntesten Symptomen von Alzheimer- und Demenzerkrankten zählen zunehmende Vergesslichkeit, Gedächtnisschwund sowie Verwirrtheitszustände. Meist tritt auch eine Veränderung der Persönlichkeit ein. Welche Tipps haben Sie für den täglichen Umgang?

Die oberste Prämisse im Umgang mit den Demenz- und Alzheimererkrankten heißt: Ruhig bleiben und auf die jeweilige Situation eingehen, in der sich die oder der Betroffene gerade befindet. Man muss den Menschen dort abholen, wo er gerade (psychisch) steht. Alzheimer verursacht im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf immer wieder in Verwirrtheitszustände, die mit einem gewissen Aktionismus verbunden sind. Die Betroffenen sind dann meist in die Vergangenheit versetzt und wollen beispielsweise plötzlich mit dem Bus in die Schule oder zur Arbeit. Hier gilt es sich als Außenstehender unbedingt bewusst zu machen, dass dies für die Erkrankten gerade als Realität empfunden wird. Oft hilft es, sie von dem Thema abzulenken, beispielsweise mit einer „Notlüge“, dass man kein Geld für das Ticket dabeihabe und erst einmal gemeinsam nach Hause gehen sollte. Denn der Geisteszustand kann sich schnell verändern und Betroffene sehen vielleicht schon nach einigen Minuten wieder klarer. Das ist nicht immer einfach, erst recht nicht als Angehörige oder Angehöriger. Es hilft aber ungemein und ist oftmals besser als die Menschen mit der Wahrheit zu konfrontieren, die für sie einen Schock bedeutet.
Angehörige und Pflegende sollten natürlich auch darauf achten, dass die Alzheimer- und Demenzerkrankten ausreichend Essen und Trinken – oder nicht doppelt und dreifach Essen, wenn sie dies vergessen haben – und dass sie mögliche benötigte Medikamente regelmäßig einnehmen. Außerdem neigen die Erkrankten häufig dazu, sich nicht vollständig zu bekleiden. Man sollte folglich darauf achten, dass die oder der Betroffene beispielsweise Schuhe trägt oder in der kälteren Jahreszeit eine Jacke anzieht.
Ich empfehle zudem, keine Versprechen zu machen, die man nicht halten kann, wie etwa dass ein Umzug in ein Heim nie passieren wird. Vieles lässt sich nicht vorhersehen und ein Versprechen sollte niemanden hindern so zu handeln, wie es das Beste für alle ist.  
Zu guter Letzt: Zu pflegen heißt auch auf sich selbst Acht zu geben. Nur wer sich selbst gut pflegt, kann adere gut pflegen. Es ist wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Das gilt für das Ende der eigenen Kräfte genauso wie für die Entscheidung, dass die kranke Person vielleicht besser in einer Einrichtung aufgehoben wäre.

Die Corona-Pandemie stellt viele vor das Dilemma einer Ansteckungsgefahr bei einem engen Miteinander und Isolation und Verwahrlosung der Betroffenen bei sicherheitsbedingtem Abstand. Was können Sie hierzu raten?

Letztlich muss die Entscheidung jeder für sich selbst treffen. Doch bei allen guten Absichten und Vorsichtsmaßnahmen sollte man aus meiner Sicht immer im Hinterkopf behalten, dass die Zeit mit den Verwandten nicht wiederbekommt. Gerade Alzheimer ist ein „Abschied auf Raten“, wenn man so möchte. Hinzu kommt, dass Besuche, Nähe und Kontakt für die Erkrankten ganz wichtig sind. 
Ein Schnelltest vor einem Treffen und eine vollständige Impfung bieten eine gewisse Sicherheit. Außerdem: Wenn man sich unsicher ist, kann man sich auch an der frischen Luft treffen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren.

Was ist mit dem Kontakt-Halten über Smartphone, Tablet und Co?

Die modernen Kommunikationsmittel werden auch von Alzheimer- und Demenzkranken gut angenommen – vorausgesetzt es ist jemand da, der ihnen mit der Technik hilft. Das Gesicht eines lieben Menschen zu sehen und die Stimme zu hören, tuen in jedem Fall gut. Es gibt übrigens auch besondere Programme und Geräte speziell für Demenzkranke Menschen. Sie sind z.B. mit Kinderliedern, Märchen und alten Geschichten sowie Übungen bespielt.
Wann sollten Angehörige von Demenzerkrankten weitere Schritte unternehmen?
Idealerweise so früh wie möglich. Manche Symptome lassen sich vielleicht eine Zeit lang durch Medikamente aufhalten oder verlangsamen. Außerdem können Angehörige mit der Diagnose bereits früh einen Pflegedienst oder Betreuungshilfen einschalten und sich auf diese Weise professionelle Unterstützung holen. Es gibt auch Zuschüsse, die beantragt werden können. 
Doch der Prozess, sich einzugestehen, dass etwas „nicht stimmt“, gestaltet sich in vielen Fällen sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen als schwierig und langwierig. Die Alzheimerpatientinnen und -patienten versuchen außerdem häufig ihre Krankheit zu vertuschen und verweigern Arztbesuche. Aber spätestens, wenn die Demenz so gravierend wird, dass eine Eigen- und Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, ist professionelle Hilfe unumgänglich – z.B. wenn der Betroffene die Kartoffeln ohne Wasser auf dem Herd kochen will. Aber auch, wenn Gewalt ins Spiel kommt, etwa wenn Angehörige sich genötigt fühlen, die Person einzuschließen oder ihr den Hausschlüssel wegzunehmen. 

Was wünschen Sie sich zum Welt-Alzheimertag für die Angehörigen?

Ich wünsche mir mehr Aufklärung über die zahlreichen Angebote für pflegende Angehörige. Es gibt Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Gesprächskreise und vieles mehr – doch das Bewusstsein dafür fehlt. Wenn es nach mir ginge, sollte das Informationsmaterial in Apotheken und bei Friseuren etc. ausliegen, damit sich jeden informieren kann. Wenn Alzheimer in der Familie auftritt, erleben viele Angehörige Gefühle der Hilf- und Ratlosigkeit. Das müsste nicht so sein. Das Demenznetz Köln-Porz beispielsweise ist ein lokaler Zusammenschluss aus spezialisierten Einrichtungen. 

Informationsquellen für pflegende Angehörige:

Deutsche Alzhzeimer Gesellschaft e.V. - www.deutsche-alzheimer.de

Bundesministerium für Gesundheit - https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/online-ratgeber-pflege.html

Demenznetz-Porz - demenznetz-porz.de/

Stadt-Köln - www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/gesundheit/demenz/index.html