24.11.2025 | Ev. Krankenhaus Bethesda Mönchengladbach

Seelsorge heißt: Den Menschen sehen – 30 Jahre Klinikseelsorger im Bethesda-Krankenhaus

Pfarrer Ulrich Meihsner blickt auf drei Jahrzehnte als evangelischer Klinikseelsorger zurück. Sein Dienstjubiläum fällt in ein besonderes Jahr: Das Bethesda-Krankenhaus in Mönchengladbach feiert sein 170-jähriges Bestehen. Im Interview spricht er über bewegende Begegnungen, ethische Fragen und die Kraft der Spiritualität in schwierigen Zeiten.

Herr Pfarrer Ulrich Meihsner, Sie feiern in diesem Jahr Ihr 30-jähriges Dienstjubiläum als evangelischer Klinikseelsorger – genau in dem Jahr, in dem das Bethesda-Krankenhaus auf 170 Jahre Geschichte zurückblickt. Welche Rolle spielt die Seelsorge in dieser langen Tradition?

Das Bethesda wurde von der evangelischen Kirchengemeinde Mönchengladbach gegründet – mit dem Ziel, kranken Mitgliedern der Gemeinde gezielt zu helfen. Vorher kümmerten sich Gemeindeschwestern um Bedürftige, aber die Gemeinde sagte damals: Das reicht nicht mehr, wir brauchen ein richtiges Krankenhaus. Dieser Geist prägt das Haus bis heute. Ich bin dankbar, seit 30 Jahren Teil dieser Geschichte zu sein und mit christlicher Nächstenliebe dazu beitragen zu dürfen, kranke Menschen zu begleiten und ihre Genesungskraft zu fördern. Gab es zu Beginn, meistens am Samstag, die geistliche Visite, d.h. der für das Krankenhaus zuständige Gemeindepfarrer besuchte die Patientinnen und Patienten auf den Stationen und visitierte zugleich die anwesenden Chefärzte und weiteres Personal. Heute ist der Krankenhausseelsorger ein hochspezialisierter Mitarbeiter innerhalb der Klinik mit Wissen um Krankheiten, Heilungsprozesse und der Aufgabe, Glauben im Krankenhaus zu leben.

Sie sprechen von Entwicklungen, die Sie miterlebt und mitgestaltet haben. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein bedeutendes Beispiel ist sicher die Entstehung unserer spezialisierten Senologie – eine eigene Abteilung für Frauen mit Brustkrebs. Heute gehört unser Brustzentrum zu den größten und modernsten in Deutschland. Als Klinikseelsorger, in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen in der Seelsorge, denke ich bei solchen Entwicklungen auch immer mit: Welche ethischen Fragen stellen sich? Welche Bedürfnisse haben die Patientinnen und was ist für die Angehörigen wichtig?

Auch in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie gab es große Fortschritte. Früher bedeutete eine Krebserkrankung oft, dass z.B. Teile des Unterkiefers entfernt werden mussten – mit drastischen Folgen für Aussehen und Lebensqualität. Heute können die Mediziner Eingriffe so gestalten, dass Funktion und Aussehen bestmöglich erhalten bleiben. Seelsorglich ist diese neue Situation natürlich viel einfacher zu unterstützen, auch wenn die Diagnose Krebs bleibt. Menschlich ist es ein riesiger Gewinn.

Wie sind Sie zur Krankenhausseelsorge gekommen?

1986 habe ich im Rahmen meines Theologiestudiums ein Praktikum auf einer onkologischen Station gemacht. Die Kombination aus spiritueller Begleitung und medizinethischen Fragen hat mich sofort fasziniert und ich habe mein weiteres Studium daraufhin ausgerichtet. Und ich wusste: Wenn ich einen Ort in der Kirche habe, dann in der Klinikseelsorge. Ich war dann einer der ersten evangelischen Theologen im Rheinland, die das Vikariat im Krankenhaus gemacht haben. Heute, nach nun insgesamt 35 Jahren im Dienst weiß ich, dass mich Gott an diesen Ort gestellt hat.

Wie waren Ihre Anfänge im Bethesda-Krankenhaus?

Ich kam damals – der Liebe wegen – nach Mönchengladbach. Meine Frau, Pfarrerin Ute Dallmeier, ist ebenfalls Klinikseelsorgerin, wir teilten uns die Stelle. Am 13. März 1995 wurden wir gemeinsam in das Amt eingeführt – und im Bethesda mit offenen Armen empfangen. Eine Besonderheit war, dass wir damals auf ein großes katholisches Team der Klinikseelsorge trafen. Gemeinsam hatten wir die Aufgabe, ein gutes Miteinander zum Wohle der Patienten zu gestalten und die evangelische Perspektive im Aufsichtsrat des Hauses zu vertreten.

Eigentlich wollten meine Frau und ich 2020 ein goldenes, d.h. unser gemeinsames 25-jähriges Dienst-Jubiläum feiern, doch Corona kam dazwischen. Meine Frau ist nun bereits im Ruhestand, aber ich freue mich, dass ich heute auf 30 Jahre im Bethesda-Krankenhaus zurückblicken darf.

Gab es besonders prägende Momente in Ihrer Tätigkeit?

Auf jeden Fall. Einer war, als ich zum ersten Mal eine Fehlgeburt begleitete – ich hielt 14 Zentimeter Mensch auf meiner Hand. Da wurde mir klar, wie tief dieses Erlebnis Mütter trifft. Daraufhin haben wir, die Gynäkologische Klinik des Hauses und die Seelsorge, das Projekt „Sternenkinderfeld“ des Ev. Friedhofs Odenkirchen unterstützt. Es ist ein würdiger Ort, an dem Eltern Abschied nehmen können. Bis heute ist dies ein wichtiger Teil unserer Arbeit.

Ein anderer Moment war das Gespräch mit einem Patienten, der vor einer Operation nackt vom OP-Tisch sprang und weglief. Erst danach erzählte er von einem verdrängten Kriegstrauma. Er konnte das Erlebte zum ersten Mal aussprechen – auch gegenüber seiner Familie. Solche Momente zeigen, wie wichtig Seelsorge ist, gerade dort, wo Worte lange fehlten.

Und in jüngerer Zeit?

Auf unserer Palliativstation hatte ich Kontakt zu einem Patienten, der nicht wollte, dass seine Kinder von seiner Krankheit erfahren. Gemeinsam d.h. mit den Pflegenden und den Ärzten, konnten wir ihn ermutigen, offen mit ihnen zu sprechen. Es zeigte sich: Gerade in palliativen Situationen ist eine klare und einfühlsame Kommunikation entscheidend. Daraus entstand eine Fortbildung für Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, die mit einem Schicksalsschlag oder einer schweren Krankheit in ihrem nächsten Umfeld konfrontiert sind. Wir konnten diese im Krankenhaus im Rahmen der Onkologischen Klinik anbieten. 

Was macht für Sie einen „guten Moment“ in der Klinikseelsorge aus?

Ein solcher Moment ist zum Beispiel unser jährlicher Gedenkgottesdienst für Angehörige von Verstorbenen. Damit zeigen wir: Ihr seid nicht allein, eure Trauer hat Raum. Es geht mir darum, im ökonomisch geprägten System Krankenhaus immer wieder Raum für Menschlichkeit zu schaffen und christliche Werte zu leben – auch gegenüber Mitarbeitenden, wenn es Probleme gibt. Die Schwächeren nicht fallen zu lassen, ist ein zentrales Anliegen meiner Arbeit. Ein anderer, besonders schöner Moment ist immer wieder der vorweihnachtliche Mitarbeiter-Gottesdienst. Im festlichen Beisammensein begegnen wir uns an der Krippe unter dem Stern der Hoffnung.

Welche Rolle spielt Ihr Glaube in Ihrer täglichen Arbeit?

Ich frage mich: Was ist für den leidenden Menschen heute die „gute Botschaft“? Wie kann ich ihn dabei unterstützen, seine eigenen Heilungskräfte zu aktivieren und zu stärken? Menschen in Krisensituationen suchen über sich hinaus nach Sinn und nach Spiritualität – nicht immer im klassischen religiösen Sinn. Ich versuche nicht, ihre Erfahrungen christlich umzudeuten. Wichtig ist, dass da eine Kraft ist, die ihnen hilft, die Situation zu bewältigen. Wenn gewünscht, biete ich seelsorgliche Begleitung an – auch für Menschen, die sagen: „Mit Kirche habe ich nichts am Hut.“