Brita
// Brita arbeitet als Pflegedienstleitung im Johanniter-Haus Wyk auf Föhr
Als der Anlieger endlich zum Stehen kam, das Schwappen der Wellen ans Ufer drang und ich den ersten Fuß auf Föhr setzte, wusste ich: Föhr ist Liebe. Hier kann ich neu anfangen.
Damals stand ich vor einem Neuanfang. Alles war ein einziges Chaos – nichts war klar. Kein Plan. Kein Ziel – nur eine Ahnung im Bauch: Ich will ans Meer. Mit 38 Jahren, gerade vom Partner getrennt, ohne Job – aber mit meinem Kind, meiner Katze und dem halben Hausstand im Auto – fuhr ich los. Es war eine Bauchentscheidung, die alles veränderte. Die ersten Monate waren rau. Wie ein Sturm, der keinen festen Boden lässt. Ich kann nicht sagen, dass es leicht war – im Gegenteil. Es hat vier Jahre gedauert, bis ich mich in diesem neuen Rhythmus zurechtfand. Doch irgendetwas hier – vielleicht der Wind, vielleicht die Weite – fing mich auf. Föhr wurde zu meinem Anker.
25 Jahre sind seitdem vergangen. Und noch immer sauge ich jede Sekunde auf, die mir die Insel schenkt. Jeden Abend blicke ich in den Sternenhimmel, als würde ich zum ersten Mal die Sterne sehen. Jeden Morgen beobachte ich, wie die Sonne aufgeht. Ich teile diese Augenblicke mit meiner Tochter und Enkelin – gemeinsam verbringen wir die Nachmittage am Strand, sammeln Müll und seltene Kesselsteine und suchen nach abgeschliffenen Glasscherben. Heute früh, auf dem Weg zur Arbeit, sah ich eine Rehkuh. Sie blieb kurz stehen, als wollte sie Hallo sagen.
Das ist mein Alltag hier – wir gönnen uns die Insel in allen Farben und Facetten. Wenn mir jemand in jungen Jahren erzählt hätte, dass ich einmal eine leidenschaftliche Insulanerin werden würde, ich hätte laut gelacht. Heute? Ich kann mir ein Leben auf dem Festland nicht mehr vorstellen. Föhr ist Heimat.“
„Ich hatte null Ahnung von Altenpflege. Und trotzdem: Mit 61 Jahren fing ich noch einmal ganz von vorne an. Davor war ich Jahrzehnte lang in meinem Element – Krankenschwester mit Leib und Seele, später in der Leitung in Klinik und Reha. Das war nicht einfach nur ein Job, das war meine Berufung. Doch dann passierte das, wovor man sich in meinem Alter insgeheim fürchtet: Auch die zweite Reha-Klinik hier auf der Insel wurde geschlossen.
Da kann man schon mal nervös werden – ich bin ja schließlich kein junger Hüpfer mehr. Und vor allem: Ich hatte keine Ahnung, was mich jetzt erwarten würde. Doch was dann kam, war die wohl beste Überraschung meines Lebens.
Mit 61 Jahren hatte ich plötzlich die besten Jobangebote, die ich je bekommen hatte! Mein Vorstellungsgespräch bei den Johannitern war so herzlich, so ehrlich, so sensationell, dass ich gar nicht lange zögerte. Ich warf alle Zweifel über Bord und sprang ins kalte Wasser. Was dann folgte? Monatelanges Pauken und stundenlanges Sitzen am Schreibtisch – Notizen, Fachbücher, Fortbildungen – alles, um mich in die neue Materie so gut wie möglich einzuarbeiten. Ich wollte nicht einfach nur mithalten. Ich wollte wirklich verstehen. Wirklich helfen. Und wenn heute mal jemand ausfällt, dann ist Schwester Brita wieder ganz schnell am Bett.
Was ich hier am meisten schätze? Ganz klar: Die Menschen. Meine Kolleginnen und Kollegen sind direkt – mehr als das. Hier nimmt niemand ein Blatt vor den Mund. Und das bedeutet nicht, dass es an Wertschätzung fehlt. Im Gegenteil. Hier im Haus sind wir einfach echt – im Lob, in der Kritik, in jedem Verbesserungsvorschlag. Und genau das macht unser Miteinander bei den Johannitern so besonders.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mit 61 Jahren noch mal so aufblühen würde. Aber genau das ist passiert.“
„Ich bereue keinen einzigen meiner Neuanfänge. Das heißt nicht, dass es irgendwann leichter wird, immer wieder von vorne anzufangen. Ganz im Gegenteil: Jeder Neustart bringt seine eigenen Zweifel mit sich. Das leise ‚Was, wenn es diesmal nicht klappt?‘ kennt man auch mit grauen Haaren noch. Aber – man lernt besser damit umzugehen. Ruhiger. Klarer. Und vielleicht ist es genau das, was mich heute trägt: Die Gewissheit, dass ich es immer geschafft habe.
Wenn ich irgendwann in Rente gehe, will ich die Welt sehen. Ich träume davon, alle Kontinente zu bereisen. Und mein Lieblingstraum ist tatsächlich noch, Wale live zu sehen. Auch Südafrika ist nochmal drin, in Asien war ich noch nicht viel, und auch Südamerika kann ich mir vorstellen. Bis jetzt aber bin ich immer wieder im selben Ort in Spanien gelandet. Diese Landschaft, diese Farben, diese Menschen … Sie haben mich damals so tief berührt, dass ich einfach nicht mehr woanders hinwollte.
Aber wie ich schon sagte: Mein Leben hat mich eines gelehrt: Neues wagen lohnt sich. Deswegen fahre ich dieses Jahr nach Andalusien. Noch ist es ein leerer Platz auf der Karte, aber einer, der bald mit Leben gefüllt wird. Und wer weiß schon, was morgen bringt? Vielleicht überrasche ich mich selbst noch einmal – und gehe in ein paar Jahren einen Weg, den ich mir heute noch gar nicht vorstellen kann. Wenn der Ruf des Neuen kommt, folge ich ihm. So wie immer.“