Marie
// Marie arbeitet im Betreuten Dienst im Johanniter-Haus Wyk auf Föhr
„Momente mit peinlichem Schweigen? Gibt’s bei mir nicht. Ich bin eine richtige Sabbeltante. Deshalb merken die meisten Menschen auch erst auf den zweiten Blick, dass ich eigentlich auch ganz anders kann – denn manchmal bin ich ein bisschen schüchtern. Es gibt zwei Seiten in mir. Und beide haben ihre Geschichte.
Denn so offen, wie ich heute bin, war ich nicht immer. Meine Schulzeit war von harten Zeiten geprägt: Mobbing, Gemeinheiten, Ausgrenzung, Blicke, die wehtaten. Mit der Zeit verliert man da leicht den Glauben an die Menschheit. Ich habe mich oft gefragt, wo mein Platz ist – und ob es überhaupt einen für mich gibt.
Doch dann kam meine Arbeit. Und die hat alles verändert. Als ich 2008 bei den Johannitern anfing, war ich noch unsicher, eher vorsichtig. Aber was ich dann erlebte, war etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Alte Menschen werten nicht. Sie hören zu. Sie sehen dich – nicht so, wie du scheinst, sondern wie du bist. Durch ihre Offenheit bin ich mit der Zeit selbst offener geworden. Positiver. Dankbarer. Ich erinnere mich noch gut an die vielen Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern, die mir von ihrem Leben erzählten. Vom Krieg, von Verlust, von Momenten, in denen sie selbst verurteilt wurden. Es war eine andere Welt, eine andere Zeit – aber wenn man das alles hört, wenn man wirklich zuhört, dann wird einem klar, wie leicht unser Leben im Vergleich dazu ist. Und plötzlich entsteht etwas in dir: Dankbarkeit. Für jeden Tag. Für jede Begegnung.
Ich bin heute angekommen. Ich brauche nichts anderes. Wenn ich mal zwei Wochen Urlaub habe, freue ich mich schon nach ein paar Tagen wieder riesig darauf, zur Arbeit zurückzukehren. Zurück zu ‚meinen‘ Menschen.
Für mich gibt es nur das Johanniter-Haus Wyk hier auf Föhr. Und zwar für den Rest meines Lebens.“
„Ich stelle regelmäßig mein ganzes Zuhause auf den Kopf. Wenn mich eine Idee packt, wird kurzerhand alles umgestellt – mein Mann muss dann mit anpacken, ob er will oder nicht. Ich bin eben so. Wenn ich etwas vor Augen habe, dann will ich es umsetzen – genau wie beim Basteln und Dekorieren. Ich brauche keine Vorlage. Ich sehe ein Bild, skizziere es und tüftele, bis alles passt.
Lange Zeit hatte ich dabei meine Kollegin an meiner Seite. Sie war für mich wie eine zweite Mama. Wenn wir zusammen gebastelt haben, ist die Zeit einfach verflogen – da sind so viele verrückte, schöne Dinge entstanden. Das war mehr als Arbeit – das war Lebensfreude pur.
Letztes Jahr ist sie gestorben. Seitdem ist es stiller geworden in mir. Ich bastle weniger. Aber meine Art zu denken ist geblieben: Ich finde immer eine kreative Lösung. Und wenn etwas nicht passt – dann ‚deixel‘ ich es eben so lange hin, bis es doch passt.
Unbeschwertheit ist mein Antrieb. Deshalb liebe ich die Tage mit meinem Sohn und meinem Mann – besonders auf dem Jahrmarkt oder im Freizeitpark. Es geht uns nicht ums Karussell – sondern darum, gemeinsam Spaß zu haben. Unser letzter Urlaub in Grainau war mein letztes großes Abenteuer. Trotz meiner Höhenangst bin ich mit einer Sommerrodelbahn den Berg runtergedüst – 40 km/h, Herzklopfen inklusive. Und genau deswegen war es so besonders.
Auch hier im Haus liebe und suche ich diese Leichtigkeit: Wenn wir mit den Bewohnerinnen und Bewohnern basteln, spielen oder musizieren, entsteht diese besondere Energie. Und auch wenn mein Ton mal schief ist – der Spaß ist echt. Und genau darum geht’s.“
„Als ich mit elf Jahren nach Föhr kam, war das ein echter Bruch. Ich habe anders geredet, war vom Festland und habe mir nie viel aus Äußerlichkeiten gemacht. Und das wurde schnell gespiegelt – oft hart. Die Schulzeit war alles andere als leicht. Ich musste mich behaupten, wurde ausgeschlossen. Dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, hat mich lange begleitet.
Und doch ist Föhr heute mein Zuhause. Ich kenne die Menschen, die Wege, die Geräusche der Insel. Die Natur, die Tiere, das Meer – all das ist Teil meines Alltags geworden. Ich wohne etwas außerhalb und liebe die Ruhe. Wenn ich heute durch die Straßen gehe, sehe ich viele vertraute Gesichter. Manche kenne ich, seit ich ein Kind war.
Besonders meine Mutter hat mich tief geprägt. Sie war auch in der Altenpflege tätig, hatte eine Bastelstube – da habe ich viele meiner Ferientage verbracht. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben uns damals Puppen gehäkelt, wir haben getöpfert und Ausflüge gemacht. Ich erinnere mich besonders an eine taube Frau, die perfekt von den Lippen lesen konnte. Ihre Geschichte hat mich schon als Kind fasziniert.
Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben. Seitdem hat sich vieles verändert. Aber in den Liedern, die ich heute mit den Bewohnerinnen und Bewohnern singe, in den Basteleien, die entstehen, ist sie immer noch ein Stück bei mir.
Ja, ich bin angekommen. Nicht nur auf der Insel, sondern auch in meinem Leben. Und das ist alles, was ich mir wünsche.“