Anja
// Anja ist Betreuungskraft in der Tagespflege auf Sylt.
„Das mit dem Fußball schreibst du besser nicht in den Lebenslauf, Anja.“ hat mein Lehrer damals zu mir gesagt. Das war in den 70er Jahren, als ich erste Bewerbungen für Ausbildungsstellen schrieb. Ein Mädchen, das Fußball spielt. Damals war das nicht so gern gesehen. Frauenfußball war zu jener Zeit kaum bekannt. In der Gemeinde Wiedingharde, dazu gehören die Dörfer Neukirchen, Aventoft, Rödenäs und Klanxbüll, war ich das einzige Mädchen weit und breit mit diesem Hobby. Mir war das egal. Ich habe Fußball geliebt. Habe schon als Kind mit den Jungs gekickt, nach der Schule haben wir uns zum Spielen verabredet. Zwei Mannschaften, ein Ball, und los ging‘s. Ich war Stürmerin, Linksaußen, weil ich Linkshändlerin bin. Eine gefragte Position.
Mich gegen die Jungs zu behaupten war gar kein Problem. Sie hätten sich gar nicht getraut, mich nicht mitspielen zu lassen. Ich war eine richtige Anführerin, habe Ansagen gemacht, hatte immer das letzte Wort.
Bis ich 14 war, habe ich bei den Jungs im Verein mitgespielt, weil es damals keine Mädchenmannschaft gab. Und in die Damenmannschaft durfte ich ja eigentlich noch nicht. Das ging dann nur mit einer Sondergenehmigung.
Fußball hat für mich viel mit Ausdauer zu tun. Ich konnte mich auspowern, Frust rauslassen. Das brauche ich bis heute. Vielleicht bin ich deshalb im Alltag so ausgeglichen.
Später habe ich sogar in der Regionalliga gespielt. „Brotlose Kunst“ fand mein Vater. Weitergemacht hab ich natürlich trotzdem. Auch, als ich schon Mutter war. Einmal hatte mein Sohn Christoph ein Spiel – und meine Mannschaft spielte auf dem Feld nebenan. „Warum hat deine Mama Fußballklamotten an?“ wollten die Kinder wissen. „Na, weil sie auch Fußball spielt!“ Christoph war mächtig stolz auf mich.
Aufgehört habe ich erst mit 45. Bei einem Pokalspiel habe ich mir damals einen Wadenbeinbruch zugezogen. Ein paar Jahre habe ich dann trotzdem noch weitergemacht, doch irgendwann war Schluss. Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist!
Sportlich war ich immer. Als ich mit dem Fußball aufgehört habe, habe ich Tennis und Golf für mich entdeckt. Ich muss immer in Bewegung bleiben. Das kommt mir auch bei der Arbeit zugute.
Früher war ich Pflegehelferin, habe im Krankenhaus gearbeitet, in der Kurklinik und beim Orthopäden. Als Krankenpflegehelferin ging es leider irgendwann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Wir mussten damals ja noch schwer heben. Heute gibt es zum Glück mechanische Hilfsmittel wie den Hebelift usw. – das alles hatten wir damals nicht. Man bot mir eine Umschulung zur Bürokauffrau an. Doch ich merkte schnell, dass das nichts für mich ist. Man sitzt den ganzen Tag nur am Schreibtisch. Mir war das zu trocken. Ich wollte ja immer mit Menschen arbeiten. Also versuchte ich es mit dem begleitenden Dienst. Und das war genau das Richtige.
Heute bin ich im Johanniter-Haus Westerland in der Tagespflege tätig. Bewegung spielt da eine große Rolle. Ich versuche immer, die Angebote spielerisch zu gestalten, damit die Bewohnerinnen und Bewohner Spaß haben und gar nicht merken, dass sie gerade dabei sind, eine Übung zu machen. Das ist das Schöne an diesem Beruf: Man kann kreativ sein und eigene Ideen einbringen.
Besonders zu schätzen weiß ich es, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner uns Vertrauen entgegenbringen. Für sie sind wir ja auch Zuhörer, sind ein Sprachrohr. Man sitzt am Tisch, und dann fängt jemand plötzlich an, von früher zu erzählen. Von geheimen Liebschaften in der Kurklinik – Kurschatten, wie man sagt. Da kommen dann schon mal intime Dinge ans Licht. Dass die Menschen so aus sich rauskommen, hat für mich viel mit Wertschätzung zu tun.
Es ist schön, zu sehen, dass sich in unserem Bereich in den letzten Jahren so viel getan hat. Mittlerweile gibt es so viele tolle Angebote, die Leute sitzen nicht einfach nur herum. Bei meiner Arbeit versuche ich immer, über den Tellerrand zu blicken. Wenn junge Pflegekräfte frisch aus der Ausbildung zu uns kommen, frage ich sie gern aus. Damit ich auf dem neuesten Stand bleibe. Wenn ich älter bin, möchte ich ja auch gut betreut werden.
Vor kurzem habe ich mir einen großen Traum erfüllt. Ein Cabrio! Ein blauer Zweisitzer mit Niederquerschnittreifen, zwei Auspuffen und Stoffdach. Jetzt, wo die Kinder groß sind, wollte ich etwas haben, das nur für uns ist, für mich und meinen Mann. Keine Extra-Sitze, damit bloß niemand auf die Idee kommt, mitzufahren. Im Cabrio unterwegs zu sein bedeutet für mich Freiheit. Im Sommer wollen mein Mann und ich nach Italien fahren, runter zum Gardasee und dann nach Venedig.
Wir kennen uns seit der ersten Klasse, sind zusammen eingeschult worden. Als Kinder haben wir zusammen Fußball gespielt. Als wir 15 waren, hat er mich gefragt, ob ich mit ihm gehen will. Seitdem sind wir ein Paar. Über 40 Jahre ist das jetzt her. Wir haben jung geheiratet, mit Anfang 20. Doch natürlich ist in so einer langen Ehe auch nicht alles Gold, was glänzt. Man muss etwas dafür tun, muss miteinander reden. Immer wieder Dinge finden, für die man sich gemeinsam begeistern kann. Als ich den Fußball aufgab und begann, Tennis zu spielen, machte mein Mann mit. Heute spielen wir zusammen Golf. Wenn wir mit dem Cabrio unterwegs sind, wechseln wir uns am Steuer ab.
Es darf nicht langweilig werden, weder in der Ehe noch im Job. Zuletzt war ich in einer anderen Einrichtung als Leiterin des Begleitenden Dienstes tätig. Doch dann habe ich gemerkt, dass ich eine Veränderung brauche. Also suchte ich mir eine neue Herausforderung. So kam ich zu den Johannitern. Mit einer Kollegin haben wir hier die Tagespflege aufgebaut. Eine leitende Position habe ich aber nicht mehr. Doch auch, wenn ich es eigentlich gar nicht will, ertappe ich mich immer wieder dabei, alle möglichen Dinge zu regeln. Da kommt dann die Anführerin in mir durch. Ich bin wohl dafür geboren, ich kann nicht anders