Ortwin

// Ortwin ist Einrichtungsleiter des Johanniter-Haus Westerland auf Sylt.

„Ich habe immer schon davon geträumt, einmal Saxophon zu spielen, schon damals, als ich noch studiert habe. Dann bin ich in den Beruf eingestiegen und kam die letzten 20 Jahre nicht dazu. Jetzt habe ich mir endlich ein Saxophon gekauft. Durch die Pandemie hat sich das Projekt zwar verzögert, doch nun will ich bald loslegen und Stunden nehmen. Ich liebe Jazz, das ist so eine Wahnsinns-Kultur. Besonders gern höre ich Kenny G. und Candy Dulfer. Die anderen finden Heavy Metal gut, für mich ist das nichts – ich mag es eher ruhiger. Zuhause habe ich eine kleine Vinyl-Sammlung. Ich liebe es, eine Platte aufzulegen und mich mit einem Rotwein im Sessel zurückzulehnen. Das leichte Kratzen der Nadel erinnert einen an die alte Zeit. Eine schöne Atmosphäre.

Konzerte gibt es bei uns auf Sylt leider nicht so viele. Zuletzt war Pur hier auf der Insel. Als Rheinländer konnte ich mir das nicht entgehen lassen. 

Ich bin jetzt schon seit 2016 hier. Das hat sich durch Zufall ergeben. Ich sah die Stellenausschreibung der Johanniter in der Zeitung und habe mich beworben. Es waren die neuen Horizonte und die Herausforderung, die mich gelockt haben. In meiner alten Einrichtung lief alles super, doch da war keine Bewegung mehr.

Ein paar Jahre hat es schon gedauert, bis ich mich auf der Insel so richtig heimisch gefühlt habe. Wir Rheinländer gehen die Dinge immer gleich mit Power an. Die Norddeutschen hingegen sind oft entspannter, lassen sich mehr Zeit. Hier habe ich gelernt, Geduld zu haben. Nach zwei Jahren konnte ich dann sagen: „Jetzt bin ich hier angekommen!“

Auch die Luft ist hier eine andere. Sauberer natürlich, das merkt man vor allem, wenn man aus dem Rheinland zurückkommt. Vielleicht liegt es an dieser Luft, dass ich so motiviert bin, Neues auszuprobieren. Hier auf der Insel habe ich mir nämlich nicht nur ein Saxophon, sondern auch eine Harley-Davidson zugelegt. Noch so eine Herausforderung, der ich nicht widerstehen konnte.“ 

„Wenn man wie ich nach vielen Jahren seine Stadt und sein soziales Umfeld verlässt, merkt man bald, welche Menschen wirklich zählen und welche Freundschaften auch über die Distanz noch Bestand haben. Und natürlich muss man dann auch ankommen und neue Kontakte knüpfen. Dass ich mir eine Harley-Davidson angeschafft habe, war da hilfreich. 

Vor 30 Jahren hatte ich schon mal ein Motorrad, bin aber lange Zeit nicht mehr gefahren. Hier auf Sylt hat es sich dann per Zufall ergeben, dass ich wieder auf die Idee kam. Unsere Einrichtung hatte damals eine Kooperation mit dem lokalen Harvey-Davidson Laden. So bin ich mit dem Besitzer ins Gespräch gekommen und habe mich spontan für den Kauf entschieden. 

Es ist einfach ein geiles Gefühl, mit der Harley unterwegs zu sein. Natürlich kann man sich auch ein anderes Hobby suchen – Golfen oder Wassersport, man kann an den Stand gehen und in der Sonne liegen. Doch ich mag keinen Sand an den Füßen, also nehme ich lieber die Harley und erkunde die Insel, fahre zu abgelegenen Orten, dort, wo keine Touristen sind. Wir haben hier auch mehrere Motorrad-Vereine, sogar einen Motorrad-Club nur für Frauen. Ob im Norden oder im Süden der Insel – man weiß immer, wo man hinfahren kann, um sich mit anderen Bikern zu treffen. Man trinkt zusammen was, tauscht sich aus, oder man verabredet sich für eine gemeinsame Tour. Das Schöne ist, dass die Leute aus der Szene zusammenhalten.   

Einmal im Jahr rollen dann im Sommer hunderte Motorräder über die Insel. Das sind die Harley-Days, ein beliebtes Biker-Treffen. Da ist dann richtig was los! Wenn 300 Motorradfahrer über die Insel rollen und man selbst ist einer davon, macht das einfach unglaublich viel Spaß.“

„Heute lebe ich nach dem Motto: ‚Genieße dein Leben, es könnte dein letzter Tag sein!‘ Der Grund dafür ist, dass ich schon früh Menschen verloren habe, die mir nahestanden. Eine gute Freundin von mir war gerade dabei, ihren 50. Geburtstag zu planen, es sollte eine große Party geben mit allem Drum und Dran. Zwei Wochen vor dem großen Tag ist sie leider verstorben.

Seitdem sage ich mir, dass man im Leben nicht alles vorausplanen kann. Dinge geschehen, ohne dass man den Sinn versteht. „Et kütt wie et kütt“ würde der Kölner da sagen. Das ist auch meine Philosophie. Vor allem sollte man was aus seiner Zeit machen und das Leben genießen.  

Ich habe immer nach Wissen gestrebt, nach neuem Input. Vielleicht auch, weil ich verstehen wollte, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Am meisten beeindruckt es mich, wenn jemand mehr weiß als ich. Wenn ich etwas lernen kann. Stillstand ist Tod, sage ich immer. 

Hier bei den Johannitern ist jeder Tag anders, man weiß nie, was auf einen zukommt. Als Einrichtungsleiter bin ich dazu da, zuzuhören und Lösungen zu finden. Wir alle sitzen hier in einem Boot und meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alle im gleichen Takt rudern. Am meisten freut es mich, wenn ich sehe, dass die Menschen zufrieden sind und sich aufgehoben fühlen. 

Es macht Spaß, dass wir hier so viele Projekte umsetzen können. Seitdem ich in der Einrichtung bin, feiern wir auch Karneval wie im Rheinland. Alle verkleiden sich, wir verteilen Kamelle und spielen Karnevalslieder. Nur rufen wir anstatt von ‚Hellau!‘ oder ‚Alaaf!‘ den Anglergruß ‚Petri heil!‘ Schließlich sind wir hier ja auf der Insel.“