Sabrina
// Sabrina ist Leiterin des Sozialen Dienstes am Johanniter-Haus Westerland.
„Ich bin in der DDR aufgewachsen. Da war nichts mit Religion und Kirche. Trotzdem hatte ich schon als kleines Kind so einen unbewussten Draht nach oben. Schon damals habe ich mir gern Kirchen angeschaut, habe meine Eltern gedrängt, reinzugehen. Ich wollte mir alles ansehen, wollte wissen, was für eine Orgel da steht, ob sie in einer Ecke versteckt ist. Habe mir den Altar angeschaut und wie es sonst eingerichtet ist. Wohlig war das irgendwie.
In Leipzig habe ich eine Ausbildung zur Ergotherapeutin gemacht. Für meinen ersten Job hat es mich dann in den Norden verschlagen, nach Neumünster. Später bin ich in eine Einrichtung auf Sylt gewechselt. Dort gab es regelmäßig Gottesdienste, an denen wir mit den Bewohnerinnen und Bewohnern teilgenommen haben. Erst fühlte ich mich schon ein wenig abseits. Ich war ja nicht getauft, bin anders aufgewachsen. Und doch fand ich auch: Irgendwas ist da schon dran. Es gibt da irgendwen oder irgendetwas, das auf einen aufpasst.
In Kirchen gehe ich bis heute gern. Dann sehe ich mich um, schaue, wo die Orgel versteckt ist und ob es mehrere gibt. Manche Kirchen sind eher kalt und muffig, doch andere sind wirklich sehr schön.
2012 wurde unsere Einrichtung von den Johanniter Seniorenhäusern übernommen. Da habe ich mich dann taufen lassen. Tut ja nicht weh, habe ich mir gesagt. An meinem Glauben hat sich dadurch nicht viel verändert. Der Draht nach oben war schon immer da. Es war mir wichtig, dass ich mich damit identifizieren kann. Sonst hätte ich das nicht gemacht. Es ist wie beim Klamottenkaufen. Entweder spricht das Kleidungsstück zu mir und sagt: „Ich will zu dir!“ oder es bleibt halt hängen. So war das auch mit der Taufe. Ich habe es aus der persönlichen Überzeugung heraus gemacht und wusste, dass das der richtige Weg für mich ist.“
„In den Norden kam ich wegen eines Jobs. Dann kam die Liebe dazu. Mein Mann Helge und ich haben uns bei einem Straßenfest in Neumünster kennengelernt, sind im Getümmel ins Gespräch gekommen. Das ist jetzt 18 Jahre her.
Die Nordfriesen haben ja schon ihre Eigenarten. Oft sind sie wortkarg und halten einen auf Abstand. Bei Helge und mir ist der Funke aber gleich übergesprungen. Helge war sich ganz sicher, von Anfang an. Ich war es, die noch Bedenken hatte. „Na mal sehen, ob er sich meldet!“ Das hat er getan. Gleich am nächsten Morgen rief er an. Und nur fünf Monate später machte er mir einen Heiratsantrag.
Es gibt hier diesen Spruch: „Wenn ein Nordfriese „Jo“ sagt, hat man schon gewonnen.“ Dass Helge nicht so wortkarg war wie seine Landsleute, hat wohl auch mit seinem Beruf zu tun. Er war damals als Bestatter tätig. Kein gewöhnlicher Job, aber auch ich bin ja durch meinen Beruf immer wieder mit dem Tod in Berührung gekommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon erste Erfahrungen mit Sterbebegleitung gemacht. Man sitzt am Bett, ist für den Menschen da. Einmal kam ich morgens zur Arbeit, und man sagte mir, dass eine Bewohnerin mich sehen möchte. Ich ging ins Zimmer, nahm sie in den Arm. In diesem Moment ging sie dann. Sie hatte auf mich gewartet. Das war schon eine besondere Erfahrung.
Das war auch ein Grund, warum ich keine Berührungsängste mit dem Thema hatte. Wenn Helge eine Trauerrede halten sollte, hat er sie erst mir vorgelesen. Hat mich gefragt, was er anders oder besser machen kann. Er hat das wirklich immer sehr gut hinbekommen, finde ich. Das ist eben ein Beruf, bei dem man Empathie braucht, so wie in meinem Job auch.“
„Geheiratet haben Helge und ich in meinem Heimatort in der Nähe von Leipzig. Die Hochzeit findet dort satt, wo die Braut herkommt – so will es ein alter Brauch. Wir hätten gern Helges gesamte Verwandtschaft eingeladen, doch das ging einfach nicht. Das wären wohl 500 Gäste gewesen oder mehr. Helge hat eine riesige Familie. Sein Vater ist mit 12 Geschwistern aufgewachsen, Helge hat unzählige Onkel und Tanten und noch mehr Cousins und Cousinen. Viele leben noch immer hier in Niebüll.
Für mich sind sie heute meine Ersatzfamilie, weil meine eigene so weit weg ist. Am Anfang mussten wir erst miteinander warm werden. Damals konnten viele gar nicht verstehen, warum ich meinen Nachnamen nicht ändern wollte. Gerade für die Älteren war es ganz selbstverständlich, dass die Frau den Namen des Mannes annimmt. Aber ich habe schon beim Heiratsantrag gesagt: „Ich heirate dich, doch meinen Namen behalte ich!“
Die Nordfriesen wirken am Anfang distanziert, doch wenn man ihr Herz erobert hat, geben sie dir das letzte Hemd.
Wenn ich auf Fortbildung bin und erzähle, dass ich auf Sylt arbeite, machen viele große Augen. Arbeiten müssen wir aber natürlich auch hier. Als Leiterin des Begleitenden Dienstes kümmere ich mich um die Angebote im Haus. Besonders gut kann ich mit dementen Bewohnerinnen und Bewohnern umgehen. Ich strahle wohl eine Ruhe aus, die auf andere übergeht. Wenn ich an der Supermarktkasse stehe, werde ich schon mal ungeduldig. Bei der Arbeit ist das anders. Kommt jemand nur sehr langsam voran, sage ich mir: „Ach, wie schön, die Entdeckung der Langsamkeit!“
Auf der Insel hingegen ist immer sehr viel los. Viele Touristen, und es werden immer mehr. Ich erinnere mich an den ersten Lockdown, als niemand mehr kommen durfte. Wir sind mit den Bewohnerinnen und Bewohnern nach draußen gegangen. „So still war es hier noch nie!“ sagte jemand. Das stimmte. Wir konnten sogar das Meer rauschen hören. Ein schöner Moment.“