Ebrima
// Ebrima arbeitet als Pflegekraft im Johanniter-Stift Berlin-Tegel.
„Mein Vater ist in meinen Armen gestorben. Ich habe ihn bis zu seinem letzten Atemzug gepflegt. Er hat mir alles beigebracht – dank ihm bin ich heute der Mensch, der ich bin. Seine Worte sind immer bei mir. Und wenn ich vor einer schwierigen Situation stehe, oder mich nicht mehr auskenne, macht es Klick in meinem Ohr. Dann höre ich seine Worte, erinnere mich an seine Taten und sehe die Situation auf einmal glasklar. Von ihm habe ich gelernt, wie man Menschen wirklich unterstützen kann – und dass man Nächstenliebe nicht mit seinen Arbeitsklamotten auszieht und beiseitelegt. Ich versuche, jedem Menschen zu helfen – auch wenn die Person, die vor mir steht, mich ungerecht behandelt oder ablehnt.
Vor einiger Zeit sah ich zum Beispiel eine alte Frau in Wittenau am Bahnhof stehen. Sie schob mühsam ihren Rollator vor sich her und hatte Mühe, über den Bahnsteig zu gehen. Also ging ihr zu ihr hin, um ihr zu helfen – doch die Frau schlug meine Hände weg und sagte wütend: ‚Lass mich doch mit deinen Drecksfingern in Ruhe und geh zurück, von wo du gekommen bist.‘ Ich konnte nichts anderes tun als mich umzudrehen und zu gehen.
Einen Moment später sah ich, wie die Frau hinfiel – und keinen der übrigen Passanten schien das zu interessieren. Ich lief also zurück, half der Frau hoch und in den Supermarkt hinein. An der Kasse sah ich, dass sie nicht genügend Geld hatte, um ihren Einkauf zu bezahlen – also bin ich wieder hin und bezahlte für sie. Die alte Frau schlug die Hände vor ihr Gesicht und nahm mich in die Arme. Wir haben beide geweint und gelacht. Ihren Wutausbruch vom Bahnsteig hatte ich längst vergessen – denn wäre das meine eigene Mutter, dann würde ich auch wollen, dass ihr jemand hilft.“
„Ich bin alleinerziehender Vater. Als mein Sohn zwei Tage alt war, hat seine Mutter uns verlassen. Jetzt ist mein Sohn schon vierzehn Jahre alt – und vom gemeinsamen Deutschlernen bis zum Essen kochen und in die Schule bringen machen wir alles gemeinsam durch.
Vater sein ist eigentlich nicht schwer, denn die Kinder werden, wie ihre Eltern sind. Ich will meinem Sohn an meinen Taten zeigen, wie das Leben funktioniert. Wenn ich nicht arbeiten würde, faul wäre und mich ständig beschweren würde – was würde mein Sohn dann lernen? Ich möchte ihm Respekt vor anderen Menschen beibringen und dass Herausforderungen vor allem eine Sache der Einstellung sind.
Was mir wehtut, ist, wenn Menschen Schmerzen haben und ich nichts daran ändern kann. Wenn das passiert, dann lässt mich das einige Zeit nicht los. Und Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind, vergesse ich nie. Vor einigen Jahren habe ich einen älteren Mann kennengelernt. Er war ein guter Mensch. Manchmal kam er bei uns vorbei und schmiss Schokolade für meinen Sohn in unseren Briefkasten. Er ist 2019 gestorben. Seit seinem Tod gehe ich jeden Freitag – egal ob es regnet, ob ich in Eile bin oder ob es schneit – zu seinem Grab und lege ihm Blumen ans Grab. Ich vergesse ihn nie. Aber ich weine auch keine Tränen. Denn irgendwann wird auch meine Zeit kommen – und dann treffe ich ihn und auch meinen Vater wieder.“
„Wenn ich manchmal nachts wach liege und nicht schlafen kann, stehe ich auf und gehe ins Fitnessstudio. Ich bin verrückt nach Sport. Mein Alltag sieht oft gleich aus: Nach der Arbeit komme ich nach Hause, mache das Essen für meinen Sohn und dann geht es ab ins Fitnessstudio. Ich habe mein ganzes Leben schon Sport getrieben. Mit 7 habe ich angefangen, Karate zu lernen – und ich habe auch den schwarzen Gürtel in Karate. Aber heute gehe ich lieber ins Fitnessstudio. Wenn ich so richtig schwitze, dann weiß ich, ich habe etwas für meinen Körper getan. Und wenn ich Zeit für mich habe, verbringe ich jede einzelne Minute eigentlich nur mit Sport.
Für viele Menschen ist Sport ja auch als Ausgleich für ihre Arbeit wichtig – das ist bei mir aber anders. Ich brauche keinen Ausgleich für meine Arbeit. Ich bin glücklich, wenn ich mit den älteren Menschen zu tun habe. Die Altenpflege ist einfach mein Ding. Wenn die Bewohnerinnen und Bewohner fühlen, dass sie immer noch am Leben teilhaben, dass sie unterstützt werden und mich anlächeln – dann komme ich abends nach Hause und bin glücklich. Denn genau das will ich mit meiner Arbeit erreichen.“