Nortrud
// Nortrud arbeitet als Pflegefachkraft und Wundexpertin im Johanniterhaus Johann Sebastian Bach in Salzgitter.
„Als ich klein war, habe ich immer davon geträumt, Chirurgin zu werden. Doch das kommunistische System machte mir da einen Strich durch die Rechnung. Ich komme aus Siebenbürgen in Rumänien. Meine Familie gehörte dort zur Deutschen Minderheit. Wir sind mit der kommunistischen Ideologie aufgewachsen, in der Schule trugen wir die roten Halsbänder und waren Pioniere, wie in der Sowjetunion.
In unserem Dorf lebten überwiegend Siebenbürger Sachsen. Zuhause sprachen wir Deutsch, hatten unsere eigene Kultur bewahrt. Das machte sich auch an der Küche bemerkbar. Meine Mutter kochte Kohlrouladen mit selbst eingelegtem Weißkraut, oder wir machten eigene Bratwürste. Ich selbst koche heute für mein Leben gern, auch die Siebenbürger Gerichte nach alten Rezepten.
Rumänisch lernte ich erst, als ich in die Schule kam. Ich war eine gute Schülerin, wissbegierig und sportlich, spielte Handball und machte bei Olympiaden mit. Wenn man dort gute Leistungen erbrachte, hatte man viele Vorteile. Etwa kostenlose Ferienlager im Sommer. Doch diese ganzen Wettbewerbe waren auch Show. ‚Schaut her, was für ein tolles Schulsystem wir haben!‘ Das stimme so natürlich nicht ganz.
Als ich die Schule abschloss, hätte ich am liebsten Medizin studiert. Chirurgin werden, meinen Traum erfüllen! Ich hatte gute Noten, einen Studienplatz hätte ich sicher bekommen. Doch es gab einen Haken. Das Studium war im Kommunismus natürlich kostenlos. Doch man wollte, dass die Leute im Land bleiben. Also zwang man angehende Studenten dazu, ein Dokument zu unterschreiben, das ihnen untersagte, nach dem Abschluss das Land zu verlassen. Das wollte ich nicht. Denn für uns Siebenbürger Sachsen gab es die Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukehren. Meine Familie war dem System gegenüber skeptisch eingestellt. Also riet mein Vater mir, kein Studium aufzunehmen. Stattdessen ließ ich mich zur Krankenschwester ausbilden. Damals hat ja niemand geahnt, dass der Eiserne Vorhang bald fallen würde. Ich ging dann tatsächlich nach Deutschland. Doch den Traum vom Medizinstudium musste ich aufgeben.“
„Nachdem 1989 der Eiserne Vorhang gefallen war, entschloss ich mich, mein Heimatdorf in Rumänien zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Obwohl meine Familie deutsche Wurzeln hat, kam ich als Immigrantin in ein Auffanglager für Asylbewerber. Ich war ja gerade mal 19 Jahre alt und plötzlich auf mich allein gestellt. Als ich einmal nachfragte, warum das mit den Papieren so lange dauerte, sagte man mir: ‚Wir können gerade keinen Dolmetscher für sie finden.‘ Dabei sprach ich schon immer fließend Deutsch! Es ist ja meine Muttersprache. Ich fand das ganz schön absurd, ich hatte wirklich keine Ahnung, was das Problem war.
Nach diesem ersten Auswanderungsversuch ging ich jedoch nochmal nach Rumänien zurück – der Liebe wegen. Ich heiratete, und 1997 wurde mein Sohn Christian geboren. Jedoch wurde schnell klar, dass es in Rumänien keine Zukunft gab. Mittlerweile hatte ich die Deutsche Staatsbürgerschaft. Auf dem Papier war ich jetzt eine Ausländerin und bekam keinen Job! Mit meinem deutschen Pass wollte man mich einfach nirgendwo einstellen. Also beschlossen wir, 2001 doch nach Deutschland zu gehen.
Leider wurde meine Ausbildung zur Krankenschwester hier nicht anerkannt. Ich musste also noch mal ganz von vorn anfangen. Ich entschied mich dazu, Altenpflegerin zu werden und ging in die 3-jährige Ausbildung. Doch dann jagte plötzlich ein Schicksalsschlag den nächsten. Meine Eltern verstarben ganz unerwartet im Abstand von wenigen Monaten. Und auch zuhause kriselte es. Mein damaliger Mann konnte sich in Deutschland nicht gut einfinden, wir trennten uns. Plötzlich musste ich ganz allein für meinen kleinen Sohn sorgen. Doch zum Glück ist dann ja doch noch alles gut geworden.
In meinem Job bin ich heute glücklich. Als Wundexpertin arbeite ich eng mit Chirurgen zusammen. Das kommt meinem Kindheitstraum, selbst Chirurgin zu werden, am nächsten. Als Mentorin begleite ich Auszubildende, ich kann mein Wissen weitergeben und freue mich jedes Mal, wenn sie die Prüfung schaffen.“
„Mein Sohn Christian war schon immer mein Sonnenschein, wir waren immer ein gutes Team. Nach der Ausbildung begann ich, als Altenpflegerin zu arbeiten. Christian ist in der Einrichtung großgeworden. Wenn ich z.B. eine Nachtschicht hatte, packte er sein Lieblingsspielzeug in seinen kleinen Rucksack und machte es sich auf einem Sofa im Aufenthaltsraum bequem.
Auch mein Liebesglück habe ich ihm zu verdanken. Damals schrieb mich einer Dating-Plattform ein Mann an, doch ich war mir nicht sicher, ob ich ihn treffen wollte. Also zeigte ich Christian sein Bild. ‚Doch Mama, der ist was für dich!‘, fand er. ‚Na gut‘, dachte ich. Und ließ mich darauf ein. Nur 3 Wochen später war Mathias bei uns eingezogen! Heute sind wir verlobt – schon seit 2014, wohlgemerkt. Und die Hochzeit? Da kam uns bisher immer was dazwischen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Dafür hat Christian letztes Jahr geheiratet. Eine Märchenhochzeit mit 350 Gästen! Die Organisation war vielleicht ein Ding! Doch es hat mir schon immer Spaß gemacht, Partys zu planen.
Heute begleitet mich nicht mehr mein Sohn zur Arbeit, sondern unser Shih Tzu Yorkshire Terrier ‚Happy‘. Auf der Station ist er jedermanns Liebling! Als Happy zu uns kam, hatten wir tagelang keinen Namen für ihn. Wir machten sogar eine Facebook-Umfrage, aber nichts passte. Dann kam Christian zu Besuch und meinte: ‚Jedes Mal, wenn ihr den Hund anschaut, seht ihr so happy aus!‘ Damit hatte er absolut recht!“