Vom Schweigen zum Gespräch
Gespräche über Trauer, Erwartungen und neue Wege im Umgang mit Verlust
In unserer Gesellschaft ist der Tod oft noch immer ein Tabuthema. Trauer wird häufig als etwas Privates betrachtet, über das man möglichst schnell hinwegkommen soll. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene fühlen sich nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen allein, unverstanden oder unter Druck gesetzt. Lacrima, ein Angebot der Johanniter in Neu-Ulm, Kempten und Augsburg, möchte genau hier ansetzen und Räume schaffen, in denen Trauer ausgesprochen, verstanden und angenommen werden darf.
„Wir wollen das Schweigen brechen und Trauer zu einem Thema machen, über das offen gesprochen werden kann“, sagt Christine Joos, Leiterin von Lacrima Neu-Ulm. „Trauer gehört zum Leben dazu und sie braucht Worte, Zeit und Verständnis.“
Die ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleiter von Lacrima unterstützen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dabei, ihre Gefühle wahrzunehmen, zu benennen und auszudrücken.
In den regelmäßig stattfindenden Gruppen erleben die Teilnehmenden, dass sie mit ihrem Schmerz nicht allein sind. „Wenn Kinder und Jugendliche merken, dass andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben, entsteht ein wertvoller Austausch“, erklärt Viviana Boy, Leiterin von Lacrima Kempten. „Das entlastet, stärkt und nimmt das Gefühl, anders oder falsch zu sein.“
Gabriela Becker, Leiterin von Lacrima Augsburg, ergänzt: „Trauer ist ein natürlicher Teil des Lebens. Sie sollte keinen Raum für Scham oder Verdrängung lassen. Offene Gespräche in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule oder im Verein helfen, Verständnis zu fördern und junge Menschen emotional zu stärken.“
Besonders herausfordernd ist für viele trauernde Familien der Umgang mit Erwartungen von außen. Gerade rund um Feiertage wie Weihnachten, Silvester oder Geburtstage entsteht oft ein unausgesprochener Druck: Man „sollte“ feiern, fröhlich sein oder zur Normalität zurückkehren. „Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch“, betonen die Lacrima-Leitungen. Familien dürfen entscheiden, ob sie feiern möchten, ob sie ein Fest bewusst anders gestalten oder ob sie ganz darauf verzichten. Auch ein stilles Gedenken oder ein veränderter Ablauf kann ein heilsamer Weg sein. Trauer und Feiern schließen sich nicht aus. Sie können nebeneinander bestehen, müssen es aber nicht.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schutz vor gut gemeintem, aber übergriffigem Trösten. Sätze wie „Du musst stark sein“, „Es wird schon wieder“ oder „Jetzt ist doch genug getrauert“ können verletzend wirken und den Druck erhöhen. Trauernde, auch Kinder und Jugendliche, haben das Recht, Grenzen zu setzen und zu sagen, was ihnen guttut und was nicht. Bei Lacrima lernen sie, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, ihre Gefühle ernst zu nehmen und selbstbewusst zu kommunizieren.
Die Lacrima-Gruppen bieten alle zwei Wochen einen geschützten Rahmen, in dem Fragen gestellt, Gefühle geteilt und kreative Ausdrucksmöglichkeiten genutzt werden können. „Unsere Erfahrung zeigt: Wer Trauer zulässt und darüber spricht, entwickelt langfristig mehr innere Stärke und Resilienz“, betont Christine Joos.
Empfehlungen für den Umgang mit Trauer in der Gesellschaft:
• Trauer sichtbar machen und den Mut haben, über Verluste zu sprechen.
• Trauernden zuhören, ohne zu bewerten oder vorschnelle Ratschläge zu geben.
• Kinder und Jugendliche aktiv einbeziehen und ihre Fragen und Gefühle ernst nehmen.
• Gemeinschaft stärken, indem Austausch in Familien, Freundeskreisen oder Gruppen ermöglicht wird.
• Kreative Ausdrucksformen wie Schreiben, Malen oder Basteln zulassen, um Gefühle zu verarbeiten.
• Geduld zeigen und akzeptieren, dass jeder Mensch Trauer unterschiedlich erlebt.
• Unterstützungsangebote wie Lacrima nutzen, um Trauer professionell und einfühlsam begleiten zu lassen.
Lacrima wird durch Spenden und Förderungen finanziert und ist für die teilnehmenden Familien kostenfrei. Ziel ist es, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Trauerweg zu begleiten, ihnen Sicherheit zu geben und sie zu ermutigen, ihren eigenen Umgang mit Verlust zu finden, frei von gesellschaftlichen Erwartungen und mit dem Wissen, dass Trauer sein darf.