Mythodea-LARP: Sanitätsdienst für einen Kontinent
Der andere Blick auf einen der wohl ungewöhnlichsten Einsätze: Was die ehrenamtlich Helfenden vom Johanniter-Ortsverband Landesbergen auf dem weltgrößten LARP-Event "ConQuest of Mythodea" auf dem Rittergut Brokeloh erleben.
Bis zu 10.000 Teilnehmende soll es geben, darunter gut 2000 Nicht-Spieler-Charaktere (NSCs). Das entspricht einer Kleinstadt. Jeden Tag ist eine Freiwillige Feuerwehr vor Ort; an diesem Sonnabend sind es Frauen und Männer der Wehr aus Husum. Gegenüber haben die Johanniter vom Ortsverband Landesbergen ihr Sanitätszelt aufgeschlagen. Sie sind rund um die Uhr im Lager; insgesamt acht Tage lang. Die Nachtschichten haben für ruhige Stunden ein paar Feldbetten im Nebenzelt; alle anderen ehrenamtlich Helfenden nächtigen in der Alten Schule in Brokeloh. Dutzende von ihnen teilt Gesamteinsatzleiterin Henrike Knipping jeden Tag neu ein. Etliche Johanniter sind schon seit den Anfängen 2004 dabei. Und einige wiederum haben das Mythodea-Live-Rollenspiel so schätzen gelernt, dass sie auch selber im Spiel mitmischen.
Schichtwechsel zwischen Orks und Rittern
Es ist Sonnabendmorgen, 9 Uhr. Die Tagschicht übernimmt von der Nachtschicht. Es gibt ein gemeinsames Frühstück für alle Einsatzkräfte, die nicht unmittelbar Patientenkontakt haben oder unterwegs sind. Die Notfallsanitäterin Henrike Knipping will heute selbst das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) besetzen; in der Sanitätsstation behält Axel Sudmann die Fäden in der Hand und koordiniert per Funk Einsatzmittel wie NEF, zwei Quads, mehrere Rettungstransportwagen (RTW) und andere Fahrzeuge. Die müssen bei Bedarf taktisch gut verteilt werden. Bei jedem Schaukampf etwa, der an diesem Tag auf „Wiese 3“ ausgetragen wird, stehen die Johanniter am Rand bereit. Gegen Mittag fährt Knipping mit dem Notarzt Marcus Kuring vorsorglich zum „Schlachtfeld“ – schon Minuten später sind beide direkt im Einsatz. Sie helfen einem Mann mit Rückenproblemen.
Heute zählt die Tagschicht 26 Johanniter, auch einige Mitglieder der Landesberger Johanniter-Jugend dürfen die Älteren begleiten. Wie sie haben etliche Generationen von Sanitätern im Ortsverband angefangen: durch Praxiseinblicke beim Mythodea.
Einsatzbilanz und ein Ritterschlag:
Rund 750 Versorgungen werden die rund 50 ehrenamtlich Helfenden vom OV Landesbergen am Ende zu verzeichnen haben. Viele Bagatellfälle wie Blasen und kleine Schnittwunden sind darunter. Hinzukommen Prellungen und Wundversorgungen. Zu ihren Aufgaben gehören auch der Rettungsdienst vor Ort inkl. Krankenhausfahrten. Das Sanitätsteam wurde zusätzlich von sechs Mitgliedern der Johanniter-Jugend begleitet. Alle sind über 16 Jahre alt und haben bereits eine Sanitätshelfenden-Ausbildung hinter sich. „Hier unterstützen sie im Hintergrund“, sagt Einsatzleiterin Henrike Knipping. Und sie sollen auch erste praktische Erfahrungen machen – bei den leichten Fällen. Diesen Einstieg haben viele ehrenamtliche Johanniter in Landesbergen hinter sich, die heute als Ärzte, Rettungs- und Notfallsanitäter*innen oder als Rettungsassistenten engagiert sind. Auch fünf ganz junge Jugendmitglieder bekamen beim Mythodea ihren Einstieg auf spielerische Art: Udo Friedmann holte die Mädchen und Jungen auf dem Mittelaltermarkt in passender Kostümierung per „Ritterschlag“ in die Johanniterfamilie.
Der geheimnisvolle Ententeich
Vom heftigen Regen am Aufbautag kündet noch immer eine tiefe Pfütze vor der Sanitätsstation, die vorsorglich mit Flatterband eingezäunt wurde. Thomas Friedmann, ein Veteran der Johanniter aus Brokeloh, setzte vor Tagen eine kleine Johanniter-Gummiente in den Miniteich. Prompt tauchten weitere große und kleine Gummienten auf; vermutlich als liebevoll gemeinte Geste von Spielenden hineingesetzt. Überhaupt ernten die Johanniter auf ihren Streifen und Wegen immer wieder ein freundliches Nicken oder ein Winken von den Akteuren, die sich gerade nicht im Spielmodus befinden. Auch Friedmanns Onkel Udo ist begeistert vom Mythodea und seit den Anfängen 2004 als Einsatzkraft dabei. Bei jedem seiner Streifen mit dem Quad winken ihm Bekannte zu. „Mit dem geländegängigen Quad bin ich schnell bei einem Patienten“, sagt er. Am Besuchereingang verschnauft er kurz, als ein Mann nahebei unglücklich stolpert. Ein verdrehter Knöchel, der schnell anschwillt. Friedmanns Finger zuckt schon zum Sendeknopf seines Funkgeräts. Wenige Augenblicke später rollt ein Rettungswagen heran.
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Im Sanitätszelt organisiert Wiebke Brunken das Geschehen. Sie ist Fachpflegekraft und arbeitet sonst in einer Notaufnahme. Am Donnerstag, nach ihrer letzten Arbeitsschicht, wechselte sie in ihr Ehrenamt. „Seit 2006 bin ich jedes Jahr dabei“, sagt sie. Ihr Auftrag: Im Zelt sorgt sie dafür, dass jede Patientin und jeder Patient die Hilfe bekommt, die er oder sie braucht. Immer mit Absprache mit dem Leitungsteam. Verdrehte Knöchel oder schmerzende Nasen nach einem Kampfgetümmel, dazu Schnitte oder andere Blessuren – so etwas bekommen sie und ihre Mannschaft an diesem Tag immer wieder zu sehen. „Die Waffen bleiben bitte draußen“, ruft sie einem schwer Gerüsteten zu, während sie einem „Kämpfer“ den Panzer abnimmt. Beide müssen ins Zelt. „Aber die sperrigen Sachen stören da nur“, sagt Brunken. Oft genug müssen sie und ihr Team ihre Anweisungen auch auf Englisch wiederholen; Mythodea ist international.
Rollenwechsel: Vom Sanitäter zum Untoten
Eine Schlacht liegt hinter den Nicht-Spieler-Charakteren André Schöne und Andreas Winkler. Als „Untotes Fleisch“ stellen sie Unsterbliche dar, die sich an „zerfallende Körper klammern“, wie das Regelbuch besagt. Es muss das Mythodea-Spieljahr 2007 gewesen sein, als Schöne erstmals eine Truppe „Untoter“ erlebte. „Die zogen mitten im Regen aus einem dichten Nebel heraus an uns vorbei“, erinnert er sich. „Ich wusste sofort, das ist genau mein Ding.“ Er stellte sich ein Kostüm zusammen und ist seither jedes Jahr mit seiner NSC-Fraktion dabei. Die ersten Tage des Sanitätsdienstes begleitet Schöne stets als ehrenamtlicher Rettungsassistent. Dann wechselt er ins NSC-Lager und taucht ab ins Spiel. Rettungssanitäter Andreas Winkler macht es genauso. Nur, dass sein Start in die Doppelrolle andersherum lief. „Ich war zuerst als Larper hier und habe mich dann vor einigen Jahren für die Arbeit der Johanniter interessiert.“ Beim Mythodea, so lässt sich sagen, begegnen sich Sanitäter und Spielende mit gegenseitigem Respekt. Auch das ist ein Grund, warum so viele Johanniter Jahr für Jahr wiederkommen. „Es ist eine völlig andere Welt“, sagt Henrike Knipping begeistert.