Martina

// Martina ist als Pflegedienstleiterin im Johanniterhaus Nebra tätig.

Von den kleinen, selbstgebauten Hütten zieht der Geruch von Glühwein, Waffeln und frischgegrillten Würstchen durchs Foyer. Die Bläser stimmen eine Weihnachtsmelodie an, bald kommt die Kindergartengruppe, um „O Tannenbaum“ zu singen, dann versammeln sich alle, lauschen und schunkeln fröhlich mit. Für viele, die hier von Stand zu Stand gehen, ist ein Besuch des Christkindlmarktes im Ort nicht mehr möglich. Darum kommen die kleinen Hütten und der Glühwein eben zu ihnen.       

Wenn Martina an die Adventszeit denkt, kommt ihr der Christkindlmarkt in den Sinn. Nicht irgendeiner, sondern jener, der im Foyer des Johanniterhauses Nebra stattfindet. Martina ist hier Wohnbereichsleiterin und stellvertretende Pflegedienstleiterin. Sie hat schon ihre Ausbildung in der Einrichtung gemacht, seit 13 Jahren ist sie schon dabei. Für Martina ist es nicht nur ein Arbeitsplatz. Hier fühlt sie sich Zuhause, ihr Team und die Bewohnerinnen und Bewohner sind für sie wie eine große Familie. 

Hier ist man vertraut miteinander. Martinas Vorgesetzte kennen die Namen ihrer Kinder, sie selbst kennt die Lebensgeschichten der Bewohnerinnen und Bewohner. Aus Kolleginnen sind über die Jahre enge Freundinnen geworden. Man hält zusammen, man zieht an einem Strang. 

Diese Verbundenheit ist besonders an Weihnachten zu spüren. Auf dem Christkindlmarkt im Foyer, den Martina Jahr für Jahr mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf die Beine stellte, ist auch ihre eigene Familie immer willkommen. Dann kommt ihr Mann mit den Kindern vorbei, um die Stände zu bestaunen und mit allen gemeinsam zu feiern.

Wenn Martina an die Menschen denkt, um die sie sich hier kümmert, ist da ein Gefühl von Vertrautheit. Jeder von ihnen könnte ihre Großmutter, ihr Großvater sein. Das ist nicht nur in der Adventszeit so. Und auch, wenn in diesem Jahr die Weihnachtsfeier wegen der Pandemie kleiner ausfallen wird als sonst, ist es für Martina doch ein Fest im Kreise einer großen Familie.

Eigentlich wollte Martina in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Sie wächst auf dem Land auf, oder besser gesagt auf dem Feld, zwischen weidenden Kühen und brummenden Traktoren. Ihr Vater bewirtet hier mehrere Hektar Land, baut Gerste, Weizen und Mais an. Im Stall stehen 200 Milchkühe, die täglich gemolken werden wollen. Als Kind liebt Martina es, auf dem Traktor zu sitzen, beim Heuschaufeln zu helfen, den Kühen auf der Wiese beim Grasen zuzuschauen. Wenn der Sommer kommt, steht die Ernte an. In den Urlaub fahren kann die Familie dann nicht. Die Sommerferien verbringen sie auf dem Feld, auch Martina und ihr Bruder Martin sind dabei, helfen mit. Sie lieben es, an der frischen Luft zu sein, mit anzupacken. 

Dem Vater tut es leid, dass die Kinder im Sommer nicht wie alle anderen in die Ferien fahren können. Er selbst ist gelernter Elektriker. Dass er zum Landwirt umschult, hat mit einem schweren Schicksalsschlag zu tun. Als junger Mann plant er, mit seinem Bruder einen Stall zu bauen. Doch dann wird dieser bei einem Unfall aus dem Leben gerissen. Martinas Vater beschließt, fortzuführen, was sie gemeinsam begonnen hatten. 

Als er hört, dass seine Tochter denselben Beruf ergreifen will, rät er ihr davon ab. Zu lang seien die Sommer auf dem Feld. Kurz spielt Martina mit dem Gedanken, tiermedizinische Fachangestellte zu werden, doch entschließt sich letzten Endes dazu, eine Ausbildung zur Pflegefachkraft zu machen. Im Johanniterhaus Nebra findet sie einen Ausbildungsplatz, und bald ist klar, dass es die richtige Entscheidung war. Martina fühlt sich wohl in der Einrichtung, es bereitet ihr unglaublich viel Freude, sich um andere zu kümmern. 

Der Vater hat seinen Betrieb mittlerweile verkauft. Doch zum Glück ist da noch ihr Bruder Martin. Der ist nämlich tatsächlich in die Fußstapfen des Vaters getreten. Und heute ist es Martinas kleiner Sohn, der liebend gern eine Runde auf Onkel Martins Traktor dreht. 

Es ist 2011, Martina hat gerade ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft im Johanniterhaus Nebra beendet. Es war eine schöne Zeit, immer fühlte die junge Frau sich hier wohl und gut begleitet. Schon als Azubi hatte sie hier das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Sie könnte bleiben, übernommen werden. Doch das Leben hat andere Pläne. 

Mittlerweile ist Martina mit Christopher zusammen. Für sein BWL-Studium muss Christopher nach Halle. Martina beschließt, ihn zu begleiten und sich in der Stadt eine neue Stelle zu suchen. Es soll ja nur für ein paar Jahre sein, bis ihr Freund mit dem Studium fertig ist. Sie findet zwar einen Job, doch das Arbeitsklima lässt zu wünschen übrig. Bald bereut Martina, ihren alten Arbeitgeber hinter sich gelassen zu haben. 

Kurzerhand kündigt sie. Nur wenige Wochen später kann sie wieder im Johanniterhaus Nebra anfangen. Hier wird sie mit offenen Armen empfangen. Die einstündige Autofahrt nimmt sie gern in Kauf. Am Steuer zu sitzen hat ihr schon immer Spaß gemacht, hier kann sie die Musik aufdrehen, sich auf den Arbeitstag in einer Einrichtung freuen, in der alle wie eine große Familie sind.

Fünf Jahre später ziehen Martina und Christopher nach Freyburg. Mittlerweile haben sie eine eigene kleine Familie gegründet. Ihre Kinder sollen behütet aufwachsen. An einem Ort, wo die Wege kurz sind und es brummende Traktoren und grasende Kühe gibt, ganz wie in Martinas Kindheit. 

Als Martina schwanger wird, ist sie bereits stellvertretende Wohnbereichsleiterin. Nach der Elternzeit wird sie zur Wohnbereichsleiterin befördert. Auch die Geburt ihrer kleinen Tochter drei Jahre später steht der Karriere nicht im Weg. Heute hat Martina die Pflegedienstleitung inne. Ihre große Familie auf der Arbeit und die kleine Familie zuhause bekommt sie gut unter einen Hut. Und wenn ihre Kinder die Mützen tragen, die eine Bewohnerin für sie gestrickt hat, ist da dieses Gefühl der Verbundenheit, das sie gegen nichts auf der Welt eintauschen würde.