07.03.2024 | Johanniter-Schwesternschaft e.V.

Nach-gedacht: Passionszeit 2024

Schon der Philosoph Immanuel Kant, dessen 300 Geburtstag sich in diesem Jahr jährt, hat darum gewusst, dass die Vernunft des Menschen Fragen aufwirft, die er nicht abweisen, aber letztlich nicht beantworten kann. Und diese Fragen beginnen immer mit dem Wort „Warum“. Sie ist die Frage aller Fragen. Wenn sie gestellt wird, dann geht es in die tiefsten Tiefen unseres Lebens. Dann geht es um die Sinnfrage schlechthin. Und wir haben bereits eine Ahnung, dass sie aus dem Dunkel des Unerklärlichen nicht so ohne weiteres herausgelöst werden kann, sondern dieses Dunkel nur noch deutlicher zu Tage treten lässt. Und wir bleiben nicht nur fragend, sondern letztlich ratlos zurück.

In meinem Tätigkeitsfeld als Seelsorger begleiten mich diese bohrenden Fragen. „Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Wofür werde ich so nun gestraft mit dieser Krankheit?“ Und ich bin davon überzeugt, dass mir diese Frage nicht allein gestellt wird. Und es wäre fahrlässig, wenn wir mit einer weichgespülten Antwort dieser Anfrage aus dem Weg gehen zu können. Es sind auch unsere Fragen, wenn wir ihnen begegnen. Um den Betroffenen wirklich ernst zu nehmen gilt es, diese Frage auszuhalten, notfalls schweigend. Wir sind bei all unserem Wissen, dass wir uns angeeignet haben, nur Lehrlinge, Studierende, wenn es darum geht, das Leben zu verstehen, gerade dann, wenn wir in Grenzregionen geführt werden, wie z.B. bei einer Erkrankung, die die Grenze des Lebens deutlich anzeigt. Und es gibt unterschiedliche Grenzerfahrungen in unserem Alltag: Krieg, Hass, Zerstörung, menschenverachtende Ausgrenzung.

Auch wir als Christinnen und Christen müssen mit der Fragwürdigkeit unserer Existenz leben, gerade in unseren Einrichtungen. Und wir machen täglich die Erfahrung, dass wir aus uns selbst heraus keine Antwort finden, die uns zur inneren Ruhe kommen lässt.: Warum Gott lässt du das zu? Gott, wo warst DU? Mit diesen Anfragen kann unser Glaube in tiefe Verunsicherungen geführt werden; ja mehr noch: unser Glaube erfährt einen schmerzhaften Riss: es will so scheinen, dass all unsere Hoffnung auf ein erfülltes, sinnvolles Leben am Fels der Verzweiflung zerschellen könnte und ein geistig-geistliches Trümmerfeld hinterlässt.

Wir bewegen uns in der Passionszeit. Die Ereignisse, die in dieser besonderen Zeit zur Sprache kommen werden, finden sich ebenso im Horizont des Warums wieder. Warum ist Gott diesen Weg des Leidens gegangen?  Warum hat Gott sich in Jesus diesem furchtbaren Sterben ausgeliefert? „Mein Gott, warum hast DU mich verlassen?“ Diese Worte spricht Jesus selbst am Kreuz. Mit dem am Kreuz leidenden und sterbenden Jesus teilt Gott die fragwürdigste Erfahrung unseres Lebens, Leiden und Sterben, die Grenzerfahrungen des Lebens schlechthin. Diese Erfahrungen bindet Gott an sein Leben. Es weiß wirklich um unsere Ängste. Der Glaube, der sich am Zeichen des Kreuzes ausrichtet, will mich erinnern: Du brauchst keine Angst zu haben. Gott bindet das Schweigen des Todes, denn der Tod ist nicht nur stumm, er macht uns stumm, und wandelt diese Angst in eine hoffnungsfrohe Gewissheit, dass das Leben die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens werden kann. Der Glaube ist eben kein Opium, der unser Leben narkotisieren will, sondern er will dazu ermutigen, diese Fragen aller Fragen auszuhalten!

Ein junger Patient, der darum wusste, dass er bald sterben würde, sagte mir in einem unserer letzten Gespräche: „Ich weiß, dass mein Leben unvollendet bleiben wird, aber ich vertraue darauf, dass es zu Ende gedacht werden wird.“ Dieser junge Mensch hat mich mit hineingenommen in das Geheimnis des Glaubens. Ich wünsche uns allen weiterhin eine gesegnete Passionszeit und die lebensspendende Erfahrung des Glaubens, dass „Gott mit uns ist am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Bernd Kollmetz, Seelsorger in den Johanniter-Ordenshäusern Bad Oeynhausen