Mit Kindern über Krisen sprechen

Alters- und entwicklungsgerechte Gespräche stärken die Resilienz

Eine Erzieherin spricht mit einem Kita-Kind. Sie sitzen an einem Tisch.

Wenn die Welt verunsichert: So können Eltern, Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte mit Kindern über Krisen, Katastrophen und Kriege sprechen – ohne sie zu überfordern. 

Die Johanniter geben Tipps für entwicklungsgerechte Kommunikation mit Kindern. 


Wenn Sirenen heulen, Bilder von Bränden oder Überschwemmungen durch die Nachrichten gehen oder Erwachsene über den Krieg sprechen, bekommen Kinder das mit – oft viel bewusster, als man denkt. Selbst kleine Kinder spüren, wenn Erwachsene verunsichert sind. Sie hören Gesprächsfetzen, sehen besorgte Gesichter und stellen Fragen, die manchmal schwer zu beantworten sind. Offen und entwicklungsgerecht über Krisen zu sprechen, hilft Kindern, ihre Eindrücke zu verarbeiten. Gleichzeitig lernen sie, dass schwierige Situationen bewältigbar sind – ein wichtiger Baustein für ihre seelische Widerstandskraft, die sogenannte Resilienz.

Warum es wichtig ist, mit Kindern über Krisen zu sprechen
Viele Erwachsene möchten Kinder vor belastenden Themen schützen und vermeiden Gespräche über Naturkatastrophen, Krieg oder andere Krisen. Doch das schafft keine Sicherheit – im Gegenteil: Kinder merken, dass etwas nicht stimmt, und füllen die Lücken mit Fantasie oder Fehlinformationen. „Kinder spüren die Unsicherheit der Erwachsenen. Wenn sie keine Erklärung bekommen, stellen sie sich oft etwas viel Schlimmeres vor“, sagt Helena Hasenkamp, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Freiwilligendienste. Offene, ruhige Gespräche helfen, Sorgen zu ordnen und Ängste zu mindern. „Kinder fühlen sich dann ernst genommen – und das stärkt ihr Vertrauen in die Erwachsenen und in sich selbst.“

Alters- und entwicklungsgerechte Kommunikation: So gelingt das Gespräch
Jedes Kind versteht und verarbeitet Krisen auf seine eigene Weise. Entscheidend ist, die Kommunikation an Alter, Entwicklungsstand und Persönlichkeit anzupassen. „Sie kennen Ihr Kind am besten, vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl: Ehrlichkeit, Ruhe und Einfühlungsvermögen sind wichtiger als perfekte Antworten“, so Hasenkamp.

Kleinkinder (3–6 Jahre): Sicherheit und Geborgenheit stehen an erster Stelle
Kleinkinder haben noch kein Verständnis für komplexe Zusammenhänge in der Welt. Sie denken stark im Hier und Jetzt. Wenn sie Bilder von Überschwemmungen oder brennenden Häusern im Fernsehen oder Internet sehen, beziehen sie das sofort auf ihre eigene Umgebung und sorgen sich: „Passiert das auch bei uns?“

So können Erwachsene reagieren:

  • Beruhigen und konkret bleiben: „Das ist weit weg. Wir sind hier sicher.“
  • Einfache, wahrheitsgemäße Erklärungen: „Da hat es sehr viel geregnet, deshalb ist das Wasser gestiegen. Jetzt helfen viele Menschen, damit es allen wieder gut geht.“
  • Sichtbare Sicherheit geben: Umarmungen, gemeinsames Kuscheln, das geliebte Kuscheltier oder ein vertrauter Ablauf helfen, im Hier und Jetzt zu bleiben und vermitteln Stabilität, z. B.:„Jetzt essen wir zusammen, dann lese ich dir vor.“

Beispiel:
Nach einem starken Gewitter können die Eltern erklären: „Ja, das war laut. Aber unser Haus ist stark und der Blitzableiter schützt uns. Die Feuerwehr passt auf, dass nichts passiert.“ Gemeinsam am Fenster kann man das Gewitter aus sicherer Entfernung beobachten und das Kind bestärken: „Du hast dich getraut, das Gewitter mit mir anzuschauen – das war mutig! Jetzt weißt du, dass Gewitter laut sind, aber uns hier drinnen nichts passieren kann.“ Solche kleinen Mutmomente zeigen Kindern: Ich darf Angst haben – aber ich kann sie aushalten, wenn jemand bei mir ist. Diese Erfahrung stärkt Selbstvertrauen und bildet eine wichtige Grundlage für Resilienz.

Hilfreiche Materialien:

  • Bilderbücher oder Geschichten zum Vorlesen über Angst und Mut
  • Rollenspiele mit Puppen oder Tieren („Die Feuerwehr kommt und hilft“)
  • Routinen (z. B. jeden Abend ein „Was-war-gut-heute?“-Gespräch)

Grundschulkinder (6–10 Jahre): Fragen ernst nehmen, Fakten kindgerecht erklären
Grundschulkinder können Ursache und Wirkung schon besser verstehen, allerdings können sie Gefahren und ihre Bedeutung für die Familie nicht genau einschätzen. Gleichzeitig beginnen sie, Nachrichten bewusster wahrzunehmen. Sie wissen, dass es Kriege und Naturkatastrophen gibt – und stellen konkrete Fragen: „Warum gibt es Krieg?“ oder „Kann das auch bei uns passieren?“ Erwachsene sollten ehrlich, aber maßvoll antworten. Und: Keine Angst vor eigenem Unwissen! Wenn Eltern eine Situation nicht erklären können, sollten sie das zugeben. Zum Beispiel so: „Ich weiß es nicht genau, aber ich kann dir erklären, was ich weiß. Und wir suchen gemeinsam weitere Antworten.“

So gelingt die Kommunikation:

  • Fragen aufgreifen, nicht ablenken. Wenn ein Kind fragt, bedeutet das, dass es bereit ist, über das Thema zu sprechen.
  • Komplexes einfach ausdrücken. Statt über „politische Konflikte“ zu reden, lieber sagen: „Manche Länder streiten sich, weil sie unterschiedliche Vorstellungen haben. Die Politiker versuchen, Frieden zu schaffen.“
  • Sicherheit betonen: „Wir haben in unserer Stadt viele Menschen, die dafür sorgen, dass wir geschützt sind – Polizei, Feuerwehr und viele Helferinnen und Helfer.“
  • Hilfe hervorheben: Kinder beruhigt es zu wissen, dass andere Menschen helfen. Beispiel: „Nach dem Hochwasser bringen viele Leute Essen und Kleidung zu den Familien, die alles verloren haben.“

Tipp: Lassen Sie Kinder eigene Ideen einbringen, z. B. ein Bild für die Feuerwehr malen oder Geld für eine Spendenaktion sammeln. So erleben sie Selbstwirksamkeit – das beste Gegenmittel gegen Angst. Und: „Zeigen Sie, dass Angst, Wut oder Trauer erlaubt sind. Kinder lernen dadurch, ihre eigenen Emotionen einzuordnen“, empfiehlt Helena Hasenkamp.

Ältere Kinder (10–12 Jahre): Wissen vertiefen, Zusammenhänge verstehen
Etwa ab diesem Alter beginnt die Phase des abstrakten Denkens. Kinder können verstehen, dass Krisen nicht „einfach so passieren“, sondern komplexe Ursachen haben. Gleichzeitig werden sie sensibler für Ungerechtigkeit und Verantwortung.

Was Eltern und Lehrkräfte tun können:

  • Zusammen Nachrichten einordnen: Schauen oder lesen Sie gemeinsam kindgerechte Nachrichtensendungen wie „logo!“ oder die Kinderseiten großer Nachrichtenportale und ordnen Sie Informationen in den größeren Zusammenhang ein.
  • Nachfragen fördern: „Was hast du dabei gedacht? Was hast du gefühlt?“ – So erkennen Sie, wie Ihr Kind Informationen verarbeitet.
  • Gefühle zulassen: Auch ältere Kinder dürfen traurig oder wütend sein.
  • Ressourcen stärken: Bewegung, Freundschaften, Musik oder kreative Projekte helfen beim Stressabbau.

Beispiel:
Wenn ein Kind nach dem Krieg fragt: „Warum kämpfen Menschen gegeneinander?“ könnte eine mögliche Antwort sein: „Manchmal glauben Menschen, sie müssen kämpfen, um etwas zu bekommen. Das ist falsch und tut vielen weh. Zum Glück gibt es andere Länder, die versuchen, Frieden zu schaffen. Aber wir müssen viel Geduld haben.“ Erwachsene sollten Mut machen, aber realistisch bleiben: „Nicht alles läuft gut – aber viele Menschen arbeiten daran, dass es besser wird.“ Es hilft auch, Kindern die Mechanismen von Nachrichten zu erklären: Manche Zusammenhänge werden verkürzt dargestellt und lassen Raum für Spekulation. „Erklären Sie, dass manche Dinge nicht einfach schwarz oder weiß sind, sondern dass es viele Zwischentöne gibt“, so Hasenkamp. „So lernt Ihr Kind, Informationen auch kritisch zu hinterfragen.“

Wie Eltern im Alltag Sicherheit vermitteln können
Kinder brauchen das Gefühl, dass Erwachsene die Situation im Griff haben. Kleine Routinen und praktische Vorbereitung schaffen Vertrauen:

  • Routinen beibehalten: Verlässliche Abläufe (z. B. gemeinsame Mahlzeiten, Vorlesezeit) vermitteln Normalität.
  • Fragen ernst nehmen: Auch wenn sie sich wiederholen – Wiederholung zeigt, dass Kinder versuchen, Sicherheit zu gewinnen.
  • Gemeinsam handeln: Ein Mini-Notfallplan (z. B. „Wo treffen wir uns, wenn der Strom ausfällt?“) gibt Struktur.
  • Gefühle spiegeln: „Ich sehe, dass du Angst hast – das ist okay. Ich habe auch manchmal Angst. Aber uns kann hier nichts passieren. Wir halten zusammen.“
  • Positive Beispiele teilen: Geschichten über Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt zeigen, dass Krisen auch Gutes hervorbringen.

Tipps für Schule und Kita
Auch im Bildungsalltag tauchen Krisenthemen auf – in Gesprächen, im Unterricht oder durch aktuelle Ereignisse. Lehrkräfte und Erziehende können Orientierung geben:

  • Raum für Gespräche schaffen: Kinder dürfen erzählen, was sie gehört oder gesehen haben.
  • Emotionen aufgreifen: Ein einfaches Gespräch im Morgenkreis („Was hat euch beschäftigt?“) kann entlastend wirken.
  • Handlungswissen vermitteln: Projekte zu Feuerwehr, Erster Hilfe oder Umweltschutz machen Mut und fördern Selbstvertrauen.
  • Kooperation mit Eltern: Einheitliche Botschaften geben Kindern zusätzliche Sicherheit.

Resilienz fördern – Kinder stark machen für schwierige Zeiten
Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und daraus gestärkt hervorzugehen. Sie wächst mit jeder Situation, die Kinder meistern. Eltern und Lehrkräfte können diese Stärke gezielt fördern, indem sie:

  • Verlässliche Beziehungen schaffen: Nähe und Geborgenheit sind der stärkste Schutz.
  • Mut und Neugier fördern: Kinder dürfen Dinge ausprobieren und Fehler machen.
  • Erfolge sichtbar machen: Kleine Fortschritte verdienen Anerkennung. Wenn ein Kind trotz Angst etwas wagt – etwa beim Arztbesuch ruhig bleibt oder nach einem lauten Gewitter wieder einschlafen kann – sollten Erwachsene das benennen: „Du hast dich getraut, obwohl du Angst hattest. Das war richtig mutig.“ Solche Rückmeldungen zeigen Kindern, dass sie schwierige Situationen meistern können – und stärken ihr Vertrauen in die eigene Kraft.

Wann professionelle Hilfe nötig ist
Manche Kinder verarbeiten Ängste nicht allein. Wenn Kinder über Wochen schlecht schlafen, Alpträume haben, sich stark zurückziehen, sich charakterlich verändern, über Bauchschmerzen klagen oder ständig besorgt wirken, sollten Eltern Unterstützung suchen – etwa durch Kinderärzt:innen, Schulsozialarbeit oder psychologische Beratungsstellen. Frühe Hilfe kann verhindern, dass sich Ängste verfestigen.

Mit Offenheit und Vertrauen durch unsichere Zeiten
„Kinder sind viel stärker, als wir denken. Wir müssen ihnen zutrauen, mit belastenden Informationen fertig zu werden. Das funktioniert aber nur, wenn sie erleben, dass sie nicht allein sind und ihr Handeln etwas bewirkt. Dazu gehören stabile und vertrauensvolle Bindungen zu Eltern oder Bezugspersonen in der Kita oder Schule und das Erlernen von Selbstwirksamkeit, zum Beispiel, indem sie alters- und entwicklungsgerecht in Entscheidungen eingebunden werden“, so Hasenkamp.

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