Zwischen Angst und Zuversicht

Wie Erwachsene Jugendliche in Krisenzeiten begleiten können

Eine junges Mädchen sitzt auf dem Fußboden, den Rücken ans Bett gelehnt, den Kopf in die Hände gestützt, den Blick nach unten gerichtet. Neben ihr liegt ein Handy auf dem Boden.

Jugendliche wachsen in einer Welt auf, in der Krisen allgegenwärtig sind – auf dem Smartphone, in den Nachrichten und im Schulalltag. Viele reagieren mit Sorge, Überforderung oder Zukunftsangst. Erwachsene können Jugendlichen helfen, Informationen einzuordnen, Gefühle zu verstehen und neue Zuversicht zu entwickeln. 

Die Johanniter geben Tipps, wie Eltern, Lehrkräfte und Betreuende Jugendlichen Halt geben und ihre psychische Widerstandskraft nachhaltig fördern können.


Klimawandel, Kriege, politische Spannungen, Zukunftsängste – Jugendliche erleben Krisen intensiver als jede Generation vor ihnen. Sie wachsen in einer Zeit auf, in der Krisenmeldungen ständig verfügbar sind: im Chat auf dem Smartphone, in den sozialen Medien, in Gesprächen zu Hause oder in der Schule. Viele Jugendliche berichten, dass sie sich hilflos, wütend oder verunsichert fühlen. Eltern, Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte können in solchen Momenten entscheidend dazu beitragen, Ängste zu mindern und seelische Widerstandskraft – also Resilienz – zu stärken.

Warum Gespräche über Krisen für Jugendliche so wichtig sind
Jugendliche befinden sich in einer sensiblen Entwicklungsphase: Sie streben nach Selbstständigkeit und Orientierung, suchen ihren Platz in der Gesellschaft und hinterfragen politische Entscheidungen und Prozesse. Sie möchten verstehen, warum Dinge passieren, und gleichzeitig wissen, welche Möglichkeiten sie selbst haben, etwas zu verändern.

„Jugendliche brauchen weniger Beruhigung und mehr Beteiligung. Wenn Erwachsene Krisenthemen meiden oder verharmlosen, fühlen sich Jugendliche nicht ernst genommen. Stattdessen sollten Erwachsene ihnen zuhören und Mitgestaltung ermöglichen, das stärkt Vertrauen und Zuversicht“, sagt Helena Hasenkamp, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Freiwilligendienste bei den Johannitern im Landesverband Nord.

Alters- und entwicklungsgerechte Kommunikation mit Jugendlichen
Gespräche mit Jugendlichen über Krieg, Klimawandel oder Krisen erfordern Feingefühl und echtes Interesse. Erwachsene sollten nicht nur informieren, sondern auch zuhören, einordnen und emotionale Sicherheit bieten.

1. Sorgen ernst nehmen – nicht abtun
Viele Jugendliche äußern Zukunftsängste: 
„Was, wenn der Krieg auch hierherkommt? Muss ich dann auch kämpfen?“
„Lohnt sich das Lernen überhaupt, wenn die Welt eh im Klimawandel untergeht?“

Solche Fragen sind Ausdruck echter Sorge, nicht Übertreibung. Eltern und Lehrkräfte sollten zuhören, ohne zu bagatellisieren oder gleich Lösungen anzubieten. „Anders als bei jüngeren Kindern wissen Jugendliche natürlich sehr genau, dass Erwachsene kein Wunder bewirken können oder für alle Probleme eine Lösung haben. Das ist aber auch nicht notwendig – viel wichtiger ist es, mit seinen Ängsten angenommen zu werden“, erklärt Helena Hasenkamp. Hilfreiche erste Reaktionen sind zum Beispiel:

  • „Ich verstehe, dass dich das beunruhigt.“
  • „Mir geht es manchmal ähnlich, und ich überlege auch, was man tun kann.“
  • „Lass uns gemeinsam schauen, was wir herausfinden können.“
     

Echtes Zuhören vermittelt: „Deine Gefühle sind erlaubt – du wirst ernst genommen. Ich kann deine Ängste nachempfinden.“

2. Informationen gemeinsam einordnen – Medienkompetenz fördern     
Jugendliche beziehen viele Informationen aus sozialen Netzwerken, in denen Fakten und Meinungen oft verschwimmen oder gezielt Falschinformationen gestreut werden. Dort kursieren gewaltvolle Bilder, Halbwahrheiten oder manipulierte Inhalte, zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz erstellte Videos, die eine bestimmte Behauptung untermauern sollen. Eltern und Lehrkräfte können helfen, diese Informationsflut besser zu sortieren:

  • Quellen hinterfragen: „Wer hat das gepostet? Warum? Könnte jemand damit Geld oder Aufmerksamkeit verdienen? Verfolgt jemand damit einen Zweck?“
  • Mehrere Perspektiven suchen: Verschiedene Medien vergleichen, Widersprüche erkennen, Videos oder Bilder auf Logik überprüfen.
  • Gemeinsam recherchieren: Wenn ein Thema belastet, gemeinsam seriöse Informationsquellen aufsuchen (z. B. Tagesschau, logo!, bpb.de) und das Thema einordnen.
  • Emotionale Distanz üben: Jugendlichen erklären, dass Social-Media-Feeds aufgrund des Algorhitmus oft Extremsituationen zeigen. Sie zeigen nur Ausschnitte – nicht das ganze Bild der Realität.

„Medienkompetenz ist heute ein Schutzfaktor für psychische Gesundheit“, betont Helena Hasenkamp. „Wer Informationen einordnen kann, fühlt sich weniger ausgeliefert.“

3. Gefühle aushalten – emotionale Balance fördern
Jugendliche erleben Krisen oft viel emotionaler als Erwachsene – sie pendeln zwischen Ohnmacht, Wut und Engagement. Eltern und Lehrkräfte sollten diese Gefühle nicht sofort „wegtrösten“, sondern aushalten und spiegeln:

„Ich sehe, dass dich das traurig macht. Was genau bewegt dich daran so sehr?“

„Mich beschäftigt das auch. Ich habe auch noch keine Idee, wie ich damit umgehen soll. Wollen wir gemeinsam einen Weg suchen?“

Emotionale Offenheit fördert Vertrauen. Gleichzeitig helfen Bewegung, Musik, Kunst oder soziale Aktivitäten mit Freundinnen und Freunden, Stress abzubauen und Gefühle zu sortieren – auch ganz ohne ständiges Reden.

4. Handlungsmöglichkeiten schaffen – vom Ohnmachtsgefühl zur Selbstwirksamkeit
Einer der stärksten Schutzfaktoren gegen Angst ist das Gefühl, etwas bewirken zu können. Jugendliche, die sich engagieren, erleben Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft – beides stärkt Resilienz.

Beispiele für sinnvolles Engagement:

  • Klimaschutz: Teilnahme an Umweltaktionen, Baumpflanzungen, Müllsammelaktionen oder Nachhaltigkeitsprojekten in der Schule.
  • Solidarität und Hilfe: Spendenaktionen für Projekte weltweit oder in der Region, Unterstützung Geflüchteter, Nachbarschaftshilfe, Tierschutzprojekte.
  • Ehrenamt: Jugendfeuerwehr, Jugendgruppen von Hilfsorganisationen, etwa die Johanniter-Jugend, Sanitätsdienste, Schulsanitätsdienst oder Katastrophenschutz.

„Solche Erfahrungen vermitteln: Ich bin nicht machtlos. Und ich bin gar nicht alleine mit meinen Gedanken und Gefühlen. Ich kann an meinem Wohnort dazu beitragen, dass die Welt besser wird und dass anderen Menschen geholfen wird – mein Handeln hat einen Sinn“, so Hasenkamp.

5. Sicherheit und Halt im Familienalltag vermitteln
Trotz wachsender Selbstständigkeit brauchen Jugendliche einen sicheren emotionalen Anker im Elternhaus oder bei vertrauten Ansprechpersonen. Ein stabiles Familienumfeld, ein stabiler Freundeskreis vermittelt: „Du bist nicht allein mit deinen Sorgen.“

Praktische Tipps:

  • Ansprechbar bleiben: Auch wenn Jugendliche sich zurückziehen, Gesprächsangebote machen – ohne Druck.
  • Routinen beibehalten: Gemeinsame Mahlzeiten oder kleine Rituale schaffen Normalität und Struktur.
  • Vorbild sein: Erwachsene, die informiert, aber ruhig bleiben, vermitteln Orientierung.
  • Eigene Haltung zeigen: Eltern dürfen und sollten ihre Werte und Überzeugungen teilen – das bietet Jugendlichen Orientierung, ohne sie zu bevormunden.

6. Die Rolle der Schule und pädagogischer Fachkräfte
Schulen und Jugendorganisationen sind wichtige Schutzräume. Sie können Jugendlichen helfen, Ängste zu thematisieren und Lösungen zu entwickeln:

  • Gesprächsrunden anbieten: Raum schaffen, um aktuelle Ereignisse zu besprechen.
  • Projekte zu Katastrophenschutz oder globaler Verantwortung: Wissen und Handlungskompetenz vermitteln.
  • Peer-Gespräche fördern: Jugendliche lernen oft am meisten voneinander, zum Beispiel in den Johanniter-Jugendgruppen, die auch von Jugendlichen geleitet werden.
  • Kooperation mit Fachstellen: Schulpsycholog:innen, Sozialarbeit oder Krisenteams einbinden.

„Für die eigene Entlastung ist es allerdings wichtig zu verstehen, dass Lehrkräfte keine Therapeut:innen sein müssen – schon Zuhören, Einordnen und Struktur geben bewirkt viel“, so Hasenkamp.

7. Wenn Sorgen zur Belastung werden
Manche Jugendliche entwickeln durch Krisen dauerhafte Ängste, Schlafprobleme oder ziehen sich stark zurück. Dann ist professionelle Unterstützung wichtig. „Das konnten wir im Rahmen der Corona-Pandemie leider sehr häufig beobachten, dass Jugendliche soziale Ängste entwickelt haben“, bestätigt Helena Hasenkamp. „Dann ist es wichtig, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu holen.“ 

Anlaufstellen können sein:

  • Kinder- und Jugendpsychotherapeut:innen
  • Schulsozialarbeit oder Beratungslehrkräfte
  • Jugendberatungsstellen oder Notfallseelsorge

Fazit: Orientierung und Beteiligung geben Jugendlichen Halt
Jugendliche stehen heute zwischen den Spannungen der Welt und ihren eigenen Zukunftsplänen. Und doch ist es meist nicht die Krise selbst, die sie belastet, sondern das Gefühl, damit allein zu sein. Deshalb brauchen Jugendliche Erwachsene, die ansprechbar bleiben – auch dann, wenn sie selbst keine perfekten Antworten haben. Eltern und Lehrkräfte, die zuhören, Fragen ernst nehmen und ehrlich erklären, bieten Orientierung, ohne vorzuschreiben, und schaffen Raum für Zweifel, Angst und Wut. 

Jugendliche wollen nicht nur konsumieren, sie wollen gestalten. Wer ihnen zutraut, Verantwortung zu übernehmen und selbst aktiv zu werden, stellt ein Gegengewicht zu Ohnmacht und Überforderung her. Schon kleine Schritte zeigen Wirkung: eine freiwillige Aktion, ein erfolgreiches Projekt, das Mut macht.

So entsteht Resilienz: als Erfahrung, dass man Unsicherheiten nicht allein tragen muss und dass eigenes Handeln Wirkung zeigt. „Das wichtigste Werkzeug in Krisenzeiten ist das Vertrauen in mich selbst und in die Menschen an meiner Seite“, sagt Helena Hasenkamp.

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