Verlust der Mobilität ist ein Grund für Vereinsamung
"Einsamkeit im Alter" lautet unser Jahresthema im Norden. Im Interview erläutert Michael Weber, Bereichsleiter Soziale Dienste, warum so viele Ältere vereinsamen und welche Hilfen wir ihnen bieten können.
Warum vereinsamen so viele ältere Menschen?
Michael Weber (MW): "Einer der Hauptgründe für die Vereinsamung im Alter ist der Verlust des Lebenspartners. Aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartungen zwischen Frauen und Männern sind rund 78 Prozent der Frauen ab 85 Jahren verwitwet und somit zumeist allein lebend. Bei gleichaltrigen Männern sind es jedoch nur rund 37 Prozent. Das sind Daten des Statistischen Bundesamt von 2009 aus der Studie 'Ältere Menschen in Deutschland und der EU'. Zur Einsamkeit kann eine eigene Erkrankung beitragen, etwa eine demenzielle Erkrankung. Aber auch die schwere Erkrankung des Lebenspartners kann ein Grund sein, wenn er oder sie zum „Dauer-Pflegefall“ wird und der gesunde Partner dadurch ebenfalls ans Haus gebunden ist. Hinzu kommt, dass heutzutage Angehörige, also die Kinder- oder Enkelgeneration, häufiger als früher aus privaten und/oder beruflichen Gründen aus der Heimat wegziehen und sind somit nicht mehr regelmäßig da, um Großeltern oder Eltern zu besuchen."
Was sind ihre Ängste und Sorgen?
MW: "Das ist eine schwierige Frage… Alleinlebende ältere Menschen verlieren aus den oben genannten Gründen oft soziale Kontakte. Körperliche Einschränkungen, zum Beispiel in der Mobilität, können darüber hinaus dazu führen, dass die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben weiter eingeschränkt wird. Sie können dann eventuell am Seniorennachmittag oder bei Treffen im Café oder bei Theaterbesuchen nicht teilnehmen. Selbst Einkaufen gehen ist schwierig oder nicht mehr möglich. Diese Menschen isolieren sich somit immer weiter, was auch zu Depressionen führen kann. Das geschieht oft ungewollt aufgrund körperlicher Gebrechen."
Welche Rolle spielen unsere Ambulanten Pflegedienste für diese Menschen?
MW: "Häufig sind diese Menschen auch pflegebedürftig und werden von ambulanten Pflegediensten versorgt. Diese kümmern sich jedoch nicht nur um Körperpflege oder Medikamentengabe, sondern sind im Rahmen der Betreuung auch als „Partner“ da, mit dem man Reden, Spiele spielen, spazieren gehen kann uvm. Häufig entsteht bei einsamen Menschen so eine recht hohe Bindung zu den Pflegekräften - fast wie ein Familienersatz. Das bedeutet eine große Verantwortung für die Pflegekräfte. Die Pflegeversicherung unterstützt diese Betreuungsleistungen durch verschiedene Budgets."
Welche Hilfe können wir einsamen Menschen bieten?
MW: "Zusätzlich zu unseren Betreuungsleistungen durch die Pflegedienste bietet der Johanniter-Hausnotruf eine gute Absicherung von Alleinlebenden. Wer nicht mehr selber einkaufen oder kochen kann oder will, der findet bei unserem Menüdienst eine vielfältige Auswahl von Speisen, auch für besondere Ernährungsformen, zum Beispiel salzarme Kost. In einigen Regionen gibt es Seniorencafés oder Seniorenmittagstische, bei denen man Gesellschaft findet und Gespräche führen kann. Unsere ehrenamtlichen Begleitdienste helfen bei Einkäufen, gehen mit den Senioren spazieren, spielen Spiele oder hören einfach nur zu. Das bieten wir im Norden zum Beispiel im Regionalverband Harburg oder in Kiel an. Auch unsere tiergestützten Dienste helfen gegen Einsamkeit: Die Hunde im Besuchsdienst lassen sich von den Senioren gerne streicheln und sorgen für Gesellschaft.
Aber auch der technische Fortschritt wirkt gegen Einsamkeit: Die Johanniter-Unfall-Hilfe arbeitet zurzeit an diversen Forschungsprojekten mit, die dafür sorgen sollen, das ältere und alleinlebende Menschen durch Technikunterstützung länger in den eigenen vier Wänden leben können. Dazu zählen etwa Tablets, mit deren Hilfe ältere Menschen mittels Videokommunikation Kontakt zu ihren Kindern, Verwandten, Ärzten und ehrenamtlichen Betreuern halten können, ein bisschen analog zu den „grünen Damen“ im Krankenhaus. Über das Tablet als Medium können aber auch haushaltsnahe Dienstleistungen bestellt und Einkäufe erledigt werden. Auch können sich so andere Betroffene miteinander vernetzen. Das ist eine Entwicklung, die in den kommenden Jahren verstärkt im Einsatz sein wird."
Was würden Sie Angehörigen empfehlen, die weit weg wohnen und sich nicht um ihre Großeltern oder Eltern kümmern können?
MW: "Auf jeden Fall sollten Angehörige sich schlau machen, welche Angebote es für die Großeltern oder Eltern in deren Heimat gibt, also zum Beispiel Seniorencafes, Begleitdienste, Nachbarschaftshilfen oder ähnliches. Das ist natürlich typabhängig, was für den Einzelnen geeignet ist. Wenn eine Pflegebedürftigkeit vorliegt, sollten sich die Angehörigen gemeinsam mit dem Pflegebedürftigen beraten lassen, welche Leistungen ihnen zustehen. Hier empfiehlt es sich, alle verfügbaren Budgets, die die Pflegeversicherung bietet, voll auszuschöpfen, etwa für die Betreuung oder die Verhinderungspflege zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Auch sollte man Eltern und Großeltern Schritt für Schritt an moderne Technik heranführen. Es gibt zum Beispiel Smartphones speziell für Senioren - bald auch bei den Johannitern. So kann man auch über die Distanz den Kontakt aufrecht erhalten, beispielsweise per Videotelefonie, so dass die Großeltern am Aufwachsen der Enkel oder an anderen Erlebnissen der Familie direkt teilhaben können, auch wenn sie nicht vor Ort sind."