"Am liebsten würde ich alle diese Menschen auffangen"

Dörte Ely arbeitet seit 20 Jahren bei uns. Als Fahrerin im Fahrdienst bringt sie ihre Fahrgäste morgens zur Tages-Geriatrie im Krankenhaus Itzehoe und holt sie am späten Nachmittag nach den Therapien wieder ab. Auch ehrenamtlich engagiert sie sich für ältere Menschen: Im Projekt Tandem Seniorenbegleitung ist sie Gesprächspartnerin, Begleiterin und Hilfe für Seniorinnen und Senioren in der Region. Im Interview berichtet die 60-Jährige gebürtige Steinburgerin, was gegen Einsamkeit im Alter hilft.

Was mögen Sie an Ihrer Arbeit besonders?

„Ich liebe die Arbeit mit Senioren! Etwas Schöneres könnte ich mir nicht vorstellen. Ich mag es, sie aufzumuntern, wenn es ihnen mal nicht so gut geht, und freue mich mit, wenn sie sich freuen. Wenn ich auf der Fahrt Döntjes auf Plattdeutsch erzähle, finden meine Fahrgäste das toll. Das weckt Erinnerungen an die Kindheit. Da geht mein Herz auf, wenn sie lachen und Freude am Leben haben. Auch ehrenamtlich kümmere ich mich, spiele Gesellschaftsspiele oder helfe bei Papierkram. Das erfüllt mich sehr.“

Treffen Sie im Rahmen Ihrer Arbeit auf einsame Menschen?

„Oh ja. Ich treffe viele einsame Menschen. Man erlebt viel in meinem Beruf. Wenn ich sehe, dass jemand beispielsweise mit seinem Haushalt allein nicht mehr klarkommt, dann bespreche ich das in der Tages-Geriatrie auch mit den Ärzten, damit eine Lösung gefunden werden kann. Am liebsten würde ich alle diese Menschen selbst auffangen und ihnen helfen, aber das kann ich natürlich nicht. Trotzdem sind sie für jede kleine Hilfe unglaublich dankbar. Wenn ich sie zur Tages-Geriatrie bringe, werden sie dort wieder für den Alltag mobilisiert, zum Beispiel mit Logopädie, motorischen Übungen oder Gedächtnistraining. Für viele von ihnen ist aber schon die Fahrt oder der Besuch im Aufenthaltsraum ein tolles Erlebnis, weil sie dort auf andere Menschen treffen und geistig wieder angeregt werden. Raus aus der Eintönigkeit. Das ist sehr wertvoll.“

Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema Einsamkeit um?

„Ich habe in meinem Berufsleben gut gelernt, mich professionell abzugrenzen. Man darf nicht alles an sich ranlassen. Das geht nicht von Anfang an, aber das kann und muss man lernen. Mein Mann unterstützt mich dabei. Ich tausche mich viel mit ihm aus. Außerdem habe ich auch noch meine eigene Mutter, um die ich mich kümmere: Sie ist 83, aber zum Glück noch ziemlich fit.“

Können Sie uns ein besonderes Erlebnis schildern aus Ihrem Arbeitsalltag?

„Was mich sehr berührt hat, war der Besuch bei einer alten Dame, die ich als Fahrgast abholen sollte. Ich klingelte, aber sie machte nicht auf. Als sie endlich die Tür öffnete, sah ich, dass die Wohnung komplett vermüllt war. Sie konnte sich mit ihrem Rollator nicht mehr bewegen und war völlig hilflos. Ich habe ihr dann erst einmal geholfen, ein bisschen Ordnung zu schaffen. So etwas geht sehr unter die Haut. Eine andere Begebenheit war ein Treffen mit einer älteren Dame, die mit ihrem Sohn in einem Haus wohnte. Auch ihr Haus war völlig zugemüllt und verwahrlost, aber ihr Sohn kümmerte sich nicht darum. Ich habe ihn dann darauf angesprochen, aber er sagte, das sei ihm egal, er würde sich nicht kümmern. Das macht mich wütend und traurig zugleich. Für solche Situationen werden wir zum Glück gut geschult. Und die schönen Erlebnisse überwiegen: Ein Lächeln meiner Fahrgäste wiegt das schnell auf.“

Als Fahrerin ermöglichen Sie, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Was bedeutet das für Sie?

„Das ist total wichtig. Sie haben ja nur uns! Ohne den Fahrdienst hätten sie keine Möglichkeit, sich aus ihrer Wohnung zu bewegen. Deswegen engagieren sich mein Mann und ich auch zusätzlich noch ehrenamtlich in der Seniorenbegleitung. Die Johanniter stellen uns einen Rollstuhlbus zur Verfügung und wir organisieren Ausflugsfahrten für Rollstuhlfahrer, zum Beispiel nach Büsum, oder auch einfach nur zum Einkaufen, mal etwas Anderes sehen, ein Tapetenwechsel. Das kommt gut an und macht uns viel Spaß. Die meisten Menschen wollen ja so lange wie möglich zuhause bleiben, auch wenn sie alt und nicht mehr mobil sind. Das kann ich gut verstehen. Wir helfen ihnen dabei.“

Was ist Ihr Rezept gegen Einsamkeit im Alter?

„Ich treffe viele Freunde, habe Spaß am Leben und bin in Vereinen aktiv. Ich hoffe, dass das so bleibt – mit 60 bin ich ja noch nicht alt. Wichtig ist es, beweglich zu bleiben, trotz meines Rheumas. Da bin ich sehr hinterher. Man darf den Kontakt zu den eigenen Angehörigen nicht verlieren, auch wenn die Kinder weiter weg wohnen. Andererseits sollte man sich im Alter auch nicht nur auf die Kinder verlassen – das können die ja gar nicht leisten, die haben doch ihre eigenen Familien. Oder es lastet auf den Schultern eines einzigen Kindes. Wenn es geht, nehme ich meine Mutter mit bei Ausflügen. Sie besucht seit Jahren einen Handarbeitskreis und ich sage ihr immer: ‚Mach das bloß!‘ Man muss eine Beschäftigung haben im Alter. Das gibt dem Leben einen Sinn. Alter ist ja heute relativ – manche sind mit 67 schon sehr gebrechlich, andere mit Anfang 90 noch total fit. Es kommt darauf an, was man selbst daraus macht. Wir können viele Tipps geben, aber am Ende ist jeder selbst für sich verantwortlich.“