Woche der Demenz: Selbstbestimmung in der WG
Johanniter plädieren für innovative Wohnformen mit mehr Lebensqualität und verlässlicher Finanzierung
Zum Alzheimertag am 21. September und der angegliederten Woche der Demenz (16.-22. September) betonen die Johanniter die enorme Bedeutung angemessener Wohnformen für demenziell Erkrankte und fordern eine verlässliche Finanzierung für Betroffene und Angehörige. „Wir erleben eine stetige Nachfrage für alle Bereiche der ambulanten Dienste und möchten entsprechende Angebote bereithalten und entwickeln“ erläutert Larissa Zeisler, Geschäftsbereichsleiterin Ambulante Dienste im Landesverband Niedersachsen/Bremen. „Die Betreuung und das Wohnumfeld für demenziell Erkrankte nehmen hier noch einmal eine besondere Stellung ein. Priorität haben für uns Modelle, bei denen Betroffene möglichst lange zuhause begleitet werden können. Das bedeutet im besten Fall eine Kombination von Tagespflege und ergänzenden ambulanten Diensten zuhause. Aber auch Pflegewohngemeinschaften oder –projekte für Demente unterstützen und fördern eine möglichst lange Selbstbestimmung.“
Die Johanniter betreiben derzeit in Niedersachsen mit 30 Pflegedienst-Partnern und inklusive eigenem Personal neun Tagespflege-Einrichtungen, die auch von dementen Menschen besucht werden. Dazu kommen neun Wohnprojekte, die im Sinne einer Wohngemeinschaft organisiert und betreut werden. Acht davon bieten Plätze für demenziell erkrankte Gäste. „Wir sehen in dieser Wohnform die besten Voraussetzungen, um den Betroffenen eine möglichst hohe Lebensqualität und je nach Möglichkeit entsprechend viel Selbstbestimmung zu bieten. Zudem können wir die Angehörigen mit einbinden“, unterstreicht Zeisler. Bereits 2008 wurde in Hannover die erste „WG“ dieser Art eingeweiht – sie galt damals innerhalb der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) bundesweit als Vorzeigemodell.
Für eine zuverlässige Betreuung sind ausreichend Pflegefachkräfte erforderlich. Die innovativen Wohnformern erfordern viel Organisation und Administration im Hintergrund – Dienstpläne für die Mitarbeitenden, die Zusammenarbeit mit den Angehörigen oder die Planung von Angeboten oder Ausflügen für die Pflegebedürftigen gehören zum Tagesgeschäft. „Wir möchten unsere Mitarbeitenden auch hier unterstützen und neben entsprechenden Qualifizierungen auch den Netzwerkgedanken fördern. Auf diesem Weg können beispielsweise unsere Pflegedienstleitungen nicht nur ihre Pflege-Expertise schneller untereinander weitergeben, sondern auch vielseitige Ideen austauschen oder gemeinsame Projekte in der Öffentlichkeit präsentieren.“
So macht im Northeimer Wohnprojekt seit kurzem die innovative Tovertafel (niederländisch: Zaubertafel) von sich reden: Der an der Decke verankerte Lichtprojektor projiziert Spiele auf einen Tisch, die speziell für Menschen mit Demenz entwickelt wurden. Sie stimulieren unterschiedliche Sinne und Hirnareale oder Körperfunktionen. In Nordenham wurde bereits eine Beach-Party gefeiert, Hannover ließ seine Bewohnerinnen und Bewohner mit VR- Brillen (virtual reality) auf Reisen gehen oder bietet Rikscha-Fahrten in die Natur. In Oldenburg lädt der inklusive Chor Menschen mit Demenz zum Singen ein.
Larissa Zeisler misst diesen Angeboten für den Lebensalltag der Menschen eine hohe Bedeutung bei: „Auch diese Menschen waren vor ihrer Erkrankung unterschiedlich und verändern sich weiterhin individuell. Während die einen der Digitalisierung durchaus noch etwas abgewinnen können, ziehen die anderen einen ruhigen Spaziergang vor.“ Für die Umsetzung dieser vielseitigen Angebote sind nicht nur ausreichend Mitarbeitende erforderlich. Sie brauchen darüber hinaus eine angemessene Qualifizierung, um die meist sehr individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten dementer Menschen zu verstehen und ihnen zu begegnen. Die Geschäftsbereichsleitung begrüßt daher die seit Februar 2024 aktualisierte Richtlinie des Medizinischen Dienstes für die Maßstäbe und Grundsätze (MuG) zur Sicherung der Qualität in der Pflege: „Die Schulung und Qualifizierung unserer Mitarbeitenden im Sinne aller Betreuungsthemen erhöht natürlich die Qualität ihrer Arbeit. Das spielt für die Pflegebedürftigen aber auch in der Zusammenarbeit mit den Angehörigen und bei deren Entlastung eine wichtige Rolle – unabhängig davon, ob wir in ein Demenz-Projekt betreuen oder im eigenen häuslichen Umfeld unterstützen“, erläutert Zeisler.
Aufholbedarf sieht Larissa Zeisler in der Finanzierung solch innovativer Wohn-Optionen: „Während im voll-stationären Bereich die Eigenanteile mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinken, steigen sie für die Bewohnerinnen und Bewohner von Wohngemeinschaften und ihre Angehörigen permanent. Es gab Zeiten, in denen sie definitiv günstiger waren. Nun wird dieses Modell mehr und mehr zum Luxus. Seitens der Politik müssen diese innovativen Wohn- und Versorgungsformen für die Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen erheblich gestärkt werden. Eine Lösung dafür ist sicherlich ein bundesweit einheitlicher Anspruch auf Leistungsstunden je Tag und in Abhängigkeit zum Pflegegrad. Die pauschale stationäre Vollversorgung könnte so durch das Wohnen mit hinzugewählten Pflege- und Betreuungszeiten ersetzt werden. Bestimmte Module könnten dann ganz nach Wunsch auch von den Angehörigen verbindlich umgesetzt werden.“