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04.06.2021 | Johanniterorden Generalsekretariat

„Fair Care - Care fair“ Was man für Geld nicht kaufen kann

Allgegenwärtig ist die Corona-Pandemie. Kein Lebensbereich, der nicht von ihr erfasst wird. Im allgemeinen Pflegebereich, vor allem aber auch in der 24-Stunden-Betreuung ist das besonders eklatant deutlich geworden...

Foto: pixabay.com

Auszug aus der Ordenszeitung 01/2021:

Pflege ist oft weiblich und kommt aus dem Ausland

… Hinter beiden Begriffen verbergen sich Gerechtigkeitsfragen, die sich an jener Schnittstelle immer wieder aufdrängen, an der sich Pflegewissenschaft, Pflegeökonomie, Pflegeethik und Gesundheitspolitik berühren. Also: Wie lassen sich Pflegeleistungen bereitstellen? Wie sich Pflegeleistungen bedarfsorientiert und gerecht an Pflegebedürftige zuteilen? Wie verhält sich all das im globalen Maßstab? Fragen, die sich vor allem in den ersten Wochen des ersten Lockdowns in aller Schärfe besonders aufdrängten. Erst recht dort, wo von Balkonen „den Heldinnen und Helden des Alltags“ applaudiert wurde, die selbst noch nicht mal ein Gesicht, geschweige denn eine eigene  Adresse haben und ihre Tätigkeit für eine 24-Stunden-Betreuung in einem diffusen Graubereich verrichten. Ich selbst lebe in Österreich und ein Großteil derer, die hier diese Arbeit verrichten, pendeln zu ihren Einsatzorten aus Rumänien, Polen oder der Ukraine, wo die Familie, der Mann und die Kinder leben. Ja, ganz richtig: der Ehemann, nicht etwa die Gattin, denn 24-Stunden-Pflege ist weitgehend weiblich. Und ohne diese vielen Frauen würde das ganze Betreuungssystem in der mobilen Pflege längst zusammenbrechen. Als die Grenzen geschlossen wurden, um die Corona-Pandemie einzudämmen, wurde das zunehmend auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst. Eine Erfahrung, die freilich in Deutschland wohl nicht anders gemacht worden ist. Umstände, Missstände, die uns bereits mitten in das weite Feld des „Fair Care“ hineinführen. Eine Debatte indes, in der zunächst einmal unterschieden werden muss. Hier die Betreuung. Da die Fachpflege. Dort die gesetzlich geregelten Berufe der Gesundheits- und Krankenpflege. Da wieder die 24-Stunden-Pflege in der Regel durch ungelernte oder nach anderen Standards ausgebildete Kräfte. Hier die Krankenpflege. Dort die Altenpflege. …

Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist der Pflegebereich ein Markt, der, verglichen mit anderen Branchen, überdurchschnittlich wächst. Hinter dem Krankenhausbereich und den niedergelassenen Ärzten ist die Pflege in Deutschland der drittgrößte Ausgabenbereich. Tendenz steigend. …

Ein stark wachsender Markt

Idealtypisch lassen sich marktwirtschaftliche, Sozialversicherungs- und staatliche Gesundheits- und Pflegesysteme unterscheiden. In der realen Welt gibt es aber auch Mischformen, was zum Beispiel in Österreich der Fall ist. In Deutschland wiederum gibt es seit 1995 die Pflegeversicherung als einen eigenständigen Zweig der Sozialversicherung.

Alles je eigene Finanzierungsformen, die ihr Für und Wider haben. Allein: sie geraten auf ihre je eigene Weise seit geraumer Zeit an ihre Grenzen. …

… heißt es unter anderem: „Benötigt wird ein patientenorientiertes, qualitätsgesichertes und nicht primär gewinnorientiertes System, das alle Mitarbeitenden wertschätzt, Innovationen und digitale Lösungen integriert und insgesamt durch eine enge Vernetzung mit der Grundlagen- und translationalen Forschung über eine hohe Resilienz verfügt.“ Überdies erinnert die Leopoldina auch daran, dass „die Krankenversorgung in Krisensituationen und eine qualitätsgesicherte und wissenschaftsorientierte medizinische Versorgung der Bevölkerung“ eine staatliche Aufgabe ist, also nicht dem freien Spiel des Marktes und seiner Akteure übertragen oder überlassen werden darf. Denn so habe die Covid-19-Pandemie dramatisch vor Augen geführt, dass „in einem Gesundheitssystem, das ein integraler Bestandteil der Daseinsvorsorge ist, grundsätzlich nicht die gleichen wirtschaftlichen Maßstäbe angelegt werden“ können „wie in der freien, wettbewerbsorientierten Wirtschaft“. Eine Forderung, die hier auch die Bedürftigkeit marginalisierter Bevölkerungsgruppen mit in den Blick nimmt. All das Gesagte gilt in besonderer Weise auch für die Pflege, die sich inzwischen zu einem riesigen Wachstumsmarkt entwickelt hat. Allein: Nicht nur aus ethischer, sondern auch aus pflegeökonomischer Sicht stellt sich immer massiver die Frage, ob Pflegeleistungen auf Märkten gehandelt werden können, wie beliebige andere Güter auch. Grundsätzlich ist nämlich ein immer weiter um sich greifender Trend zu beobachten, nach dem Patienten oder sonstige pflegebedürftige Menschen zum Produktionsfaktor mutieren, der möglichst gewinnbringend einzusetzen ist. Auf diese Weise kommt es aber zu einer Verkehrung der Nutzen-Mittel-Relation, bei der sich eine fremdnützige Instrumentalisierung des Menschen anbahnt. Eine Gesellschaft indes, die für sich den Anspruch erhebt, human und solidarisch zu sein, muss sich deshalb umso mehr die Frage stellen, was man für Geld nicht kaufen kann beziehungsweise, was man für Geld nicht kaufen können soll.

Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich Körtner
Ordensmitglied, Österreichische Kommende
Vorsitzender der Ethikkommission des Johanniterordens