Flucht: Wenn seelische Wunden kaum verheilen

Berlin / Kampala, 18. Juni 2021
Erlebte Gewalt und die anschließende Flucht hinterlassen bei vielen Betroffenen tiefe Spuren, die wie bei Evans Lomuju in Uganda noch viele Jahre danach Folgen haben können. Der Fall des Südsudanesen macht deutlich, wie wichtig psychologische Unterstützung ist, um Traumata zu überwinden. Unsere Partnerorganisation CEFORD ist für diese Maßnahmen in Flüchtlingssiedlungen ein wichtiges Bindeglied.
Der heute 33-jährige Evans Lomuju floh 2016 aus dem Südsudan nach Uganda. Er gehört zu rund einer Million Geflüchteten, die dort Zuflucht gesucht haben. Zusammen mit zwei Geschwistern und seiner Mutter erhielt Lomuju von staatlicher Seite ein Grundstück in der Palorinya-Flüchtlingssiedlung, auf dem er ein Wohnhaus errichten konnte. Lomuju konnte sogar etwas Geld verdienen. "Ich stellte Ziegelsteine her und verkaufte sie an Menschen in der Flüchtlings- und Gastgemeinde. Ich verdiente gerade genug, um unser Essen und unsere Kleidung zu finanzieren", erzählt Lomuju. Auch sein Bruder fand einen Job in einem Gesundheitsteam der Siedlung und trug zum Familieneinkommen bei. Alles schien wieder in normaleren Bahnen für die Familie zu laufen.
Die Situation änderte sich jedoch, als Lomujus Bruder anfing, unter psychischen Störungen zu leiden. "Mein Bruder war ganz normal und gesund, aber eines Morgens im März 2020 begann er, unkoordiniert zu sprechen. Er verlor den Verstand, verließ das Haus und kehrte nie wieder zurück", sagt Lomuju. Die Suche nach ihm blieb erfolglos. Die beiden Brüder standen sich sehr nahe und Lomuju wurde nach dem Verschwinden seines Bruders traurig, gestresst und depressiv. Seine Mutter Sylvia Meling erzählt, dass sich Lomujus Depression im Laufe der Zeit so sehr verschlimmert hätten, dass er sich vollständig von anderen isoliert hat.
Mein Sohn hörte auf zu sprechen. Er saß tagelang alleine da und sprach mit niemandem ein Wort. Wenn es Nacht wurde, hatte er Alpträume vom Krieg.

In der Sorge, einen weiteren Sohn zu verlieren, wandte sich Sylvia Meling an Community Empowerment for Rural Development (CEFORD), eine Partnerorganisation der Johanniter. "Wir untersuchten Lomujus Zustand und stellten fest, dass er Symptome wie Depressionen, Alpträume, Isolation und Aggressivität aufwies. Wir haben ihn zur weiteren professionellen Behandlung von psychischen Problemen an das Idiwa Health Centre III überwiesen", erklärt Joyce Kareyo, Psychologin von CEFORD. Seit Februar 2021 wird Lomuju dort behandelt. Zusätzlich nimmt er an psychosozialen Therapie-Sitzungen von CEFORD und Einzelberatungen mit Joyce Kareyo teil.

Seine psychische Gesundheit hat sich laut seiner Mutter seitdem etwas verbessert. "Er kam friedlich und regelmäßig zu uns. Er hat seine Haare schneiden lassen, ist sauber und hilft im Haushalt, etwa beim Wasserholen", erklärt Meling. Sie fügt hinzu, dass Lomuju auch keine Albträume mehr hat. Allerdings hat ihr Sohn kürzlich einen Rückfall erlitten. " Er macht sich Sorgen um unser Wohlergehen und fühlt sich schlecht, weil er nicht arbeiten kann, um uns zu unterstützen", erzählt Meling.

Probleme wie Armut, Hunger, fehlende Sicherheit sowie ein ungeregeltes Leben ohne Job können die psychische Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen. Sie wirken verstärkend auf die mitgebrachten Erlebnisse aus der Heimat. Verschiedene Studien über mentale Gesundheit unter Geflüchteten ergaben, dass rund jede fünfte Person in Konfliktgebieten und Geflüchtete auch viele Jahre nach ihrer Flucht posttraumatische Belastungsstörungen oder andere psychische Probleme aufweisen. Deshalb legt CEFORD besonderen Wert auf psychologische Unterstützung im Rahmen eines Projekts, das noch bis 2023 gemeinsam mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes in zwei Flüchtlingssiedlungen Ugandas durchgeführt wird.
UNHCR: 82,4 Millionen Menschen im Jahr 2020 auf der Flucht
Trotz der Pandemie ist die Zahl der Menschen, die vor Kriegen, Gewalt, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehen, im Jahr 2020 auf fast 82,4 Millionen Menschen gestiegen. Laut dem aktuellen Jahresbericht "Global Trends" des UNHCR ist dies ein Anstieg um vier Prozent im Vergleich zum Jahr 2019. 48 Millionen Menschen waren Binnenvertriebene (IDPs) innerhalb ihrer eigenen Länder. 4,1 Millionen waren Asylsuchende. Diese Zahlen zeigen, dass trotz der Pandemie und der Aufrufe zu einem weltweiten Waffenstillstand die Konflikte weiterhin Menschen aus ihren Häusern vertreiben.
Ecuador: Integration als Grundlage für ein besseres Leben
Auch in Ecuador unterstützen wir geflüchtete Menschen. Zusammen mit dem Roten Kreuz Ecuador haben wir hier Ende des vergangenen Jahres ein Projekt gestartet, um venezolanische Migranten und Migrantinnen sowie die aufnehmenden Gemeinschaften in vier Städten des Landes bei der Integration zu unterstützen.