07.10.2021 | Landesverband Baden-Württemberg

Empathie und Selbstständigkeit – die Skills zählen

Michelle Gemein ist Notfallsanitäterin bei den Johannitern. Ihre Ausbildung hat sie im September 2019 erfolgreich abgeschlossen und gehört zu einer der ersten Absolventinnen des neuen Berufsbildes.

Die 25-jährige absolvierte zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), bei dem sie ihr Interesse für die Notfallmedizin entdeckte. Im Folgenden spricht sie über ihre Motivation und die Anforderungen des abwechslungsreichen und anspruchsvollen Berufs.

Was hat Sie dazu bewegt, die Ausbildung zur Notfallsanitäterin anzustreben?

Ich habe schon zu Beginn meines FSJ in der Ausbildungsabteilung angefangen, mich für medizinische Themen zu begeistern. Im Laufe des FSJ habe ich mich dann informiert, welche Möglichkeiten es in diesem Bereich gibt. Zu dem Zeitpunkt war die Notfallsanitäterausbildung noch ganz neu und hat mein Interesse geweckt. Ein Schnupperpraktikum auf dem Rettungswagen hat mir sehr gut gefallen und mich in meinem Vorhaben, die Ausbildung zu beginnen, bestärkt.

Welche Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der sich für die Ausbildung als Notfallsanitäterin interessiert?

Eine der wichtigsten Eigenschaften ist für mich Empathie, die man jedem Patienten entgegenbringen sollte. In den Einsätzen geht es zwar zunächst um ein notfallmedizinisches Problem, aber auch das Zwischenmenschliche zählt. Wichtig ist auch die Bereitschaft, immer weiter zu lernen und sich weiterzubilden, denn die Erkenntnisse in der Notfallmedizin entwickeln sich ständig weiter. Was ich außerdem für wichtig halte, sind Selbstständigkeit und Entscheidungsfreude. Denn als Notfallsanitäterin muss man täglich sehr viele Entscheidungen treffen, die kein anderer für einen treffen kann und die ausschlaggebend für das Patientenwohl und oft auch für das der Kollegen sind.

Welche Erinnerungen an ihre Ausbildung haben Sie?

Meine Erinnerungen sind hauptsächlich positiv. Natürlich gab es auch Rückschläge und Frustrierendes, aber wo gibt es das nicht? Vor allem der Umgang der Kollegen mit uns Auszubildenden ist toll. Viele sind motiviert und bilden gerne aus, der Umgangston ist eigentlich immer wertschätzend. Auf meiner Rettungswache gibt es einen vergleichsweise hohen Frauenanteil, was sehr angenehm ist. Das ist nicht überall so. Im Rettungsdienst gibt es immer noch einen höheren Männeranteil und man hat das auch oft an den Reaktionen der Patienten und deren Angehörigen gemerkt: “Können Sie das denn?” “Schaffen Sie es überhaupt, mich zu tragen?” “Ich habe einen Notarzt bestellt!” Doch auch hiermit findet man seinen Umgang und mit fortschreitender Ausbildung hat man natürlich auch ein ganz anderes Auftreten und Selbstverständnis. Die Fragen und Aussagen haben später dann immer wieder gelautet: “Sind Sie die Notärztin?” “Sie machen das so toll!” “Ich habe mich sehr sicher bei Ihnen gefühlt!”

Sind Ihre Erwartungen an die Ausbildung erfüllt worden?

Ich hatte zu Anfang der Ausbildung kaum Erfahrung mit dem Thema Notfallmedizin und daher nicht wirklich eine Vorstellung, was mich erwartet. Ich wusste zu Anfang schon, dass nicht alles so aufregend ist, wie es in Serien und Filmen wirkt. Bei meinem Ausbildungsbeginn war das Berufsbild Notfallsanitäter noch ganz neu, daher boten die Lehrpläne und Konzepte noch viel Spielraum und Gestaltungsmöglichkeiten. Besonders interessant fand ich das Thema Kommunikation im Einsatz, denn hier muss wirklich jede Absprache, jeder Hinweis, jede Entscheidung passen. Eine klare Kommunikation kann Leben retten. Wichtig waren auch Tipps zum rückenschonenden Arbeiten sowie der richtige Umgang mit Stress.

Welche Aufgaben hat eine Notfallsanitäterin?

Die Aufgaben sind sehr vielfältig. In erster Linie retten wir Leben! Wir leisten bei lebensbedrohlichen Notfällen bis zum Eintreffen des Notarztes Hilfe und führen lebensrettende Maßnahmen durch. Wir befördern kranke oder verletzte Personen unter fachgerechter Betreuung beispielsweise in ein Krankenhaus. Während der Fahrt überwachen wir alle lebenswichtigen Körperfunktionen. Nach einem Einsatz stellen wir die Einsatzfähigkeit des Fahrzeugs wieder her, erstellen Transportnachweise und Einsatzprotokolle.

Was ist das Faszinierende an diesem Beruf?

Für mich ist am faszinierendsten, dass ich nie weiß, wie mein Tag aussehen wird und welche Herausforderungen ich zu bewältigen habe werde. Ich finde es außerdem erstaunlich, wie groß der Einfluss der Kommunikation auf einen Einsatz ist. Und das betrifft sowohl Patienten und deren Angehörige als auch die Kollegen. Die richtige und achtsame Kommunikation kann im Einsatz entscheidend sein. Deswegen spielt sie in der Ausbildung auch eine große Rolle.

Welche besonders bewegenden Momente haben sich ereignet?

Es gibt nicht oft diese “klassischen” besonderen Momente wie man sie kennt – bei einer Geburt dabei sein, mit bloßen Händen ein umgekipptes Auto aufstellen und den eingeklemmten
Fahrer dem sicheren Tod von der Schippe reißen. Für mich sind es oft Momente, in denen ich einem Patienten wirklich helfen kann, die für mich vielleicht nur eine Kleinigkeit sind. Oder ein tolles Gespräch führen und später ein ehrliches Dankeschön bekommen. Das sind die Momente, die einen spüren lassen, dass man den richtigen Beruf gewählt hat und die einen zufrieden machen. Natürlich sind auch die “klassischen” bewegenden Momente toll, wenn man sie erleben darf. Jedoch kommen diese Momente nicht besonders oft vor und wenn man nur auf die hin fiebert, kann das sehr frustrierend sein.

Wenn ich nicht bei den Johannitern bin, bin ich…?

…sehr gerne in der Boulderhalle oder draußen in der Natur wandern mit meinen Freunden. Das ist ein guter Ausgleich zum oft stressigen Alltag.