Weltgesundheitstag: Unsichtbare Narben heilen

Berlin / Kampala, 07. April 2021

Psychische Gesundheit ist ein wichtiger Bestandteil im Leben jedes einzelnen Menschen. Doch sie ist vor allem bei denen gefährdet, die Fluchtsituationen und geschlechtsspezifische Gewalt durchleben. Ein im August 2020 gestartetes Regionalprojekt in Ostafrika setzt verstärkt psychosoziale Maßnahmen für Menschen auf der Flucht um. Es braucht vor allem Zeit, geschultes Personal und ein koordiniertes Vorgehen, um seelische Verletzungen zu heilen.

Hinter einer Flucht stecken oft traumatische Erlebnisse. Menschen im Südsudan fliehen vor der anhaltenden Gewalt innerhalb des eigenen Landes, oder sie suchen Zuflucht in Nachbarstaaten wie Uganda. Dort hoffen sie auf ein besseres Leben. Dies sollte sich für Sharon (Name geändert) jedoch nicht erfüllen. Die junge Frau fand 2016 zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Kindern Obdach im Flüchtlingslager Maaji in Uganda. Die Familie erhielt ein Stück Land, auf dem Sharon in harter Arbeit Gemüse anbauen konnte. Anstatt jedoch die Familie zu unterstützen, verkaufte Sharons Ehemann die Ernte und behielt die gesamten Einnahmen Jahr für Jahr für sich.

Zu dieser ausgeübten ökonomischen Kontrolle kam körperliche Gewalt hinzu. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann erlitt Sharon ihren ersten psychischen Zusammenbruch, bei dem sie ihr Haus in Brand steckte und das Weite suchte. Sie siedelte in die Palorinya-Flüchtlingssiedlung um, wo sie sich immer mehr zurückzog. Je öfter sie sichtbare psychische Zusammenbrüche erlitt, desto stärker grenzte die Flüchtlingsgemeinde sie aus.

Psychisch Erkrankte sind größeren Risiken ausgesetzt

Sharons Geschichte ist nur ein Beispiel, wie sich geschlechterbasierte Gewalt auf die psychische Gesundheit von Betroffenen auswirken kann. Vor allem Geflüchtete sind hohem Stress ausgesetzt und bilden eine besonders vulnerable Gruppe mit spezifischen Bedürfnissen. „Psychische Erkrankungen werden oft stigmatisiert. Die Betroffenen und Angehörigen schämen sich und durch fehlende Kenntnisse werden mentale Krankheitsbilder traditionell gedeutet. Das alles führt dann dazu, dass Betroffene noch größeren Risiken ausgesetzt sind“, erklärt Claudia Zehl, die sich als Fachberaterin Safeguarding der Johanniter dafür einsetzt, psychosoziale Ansätze in die Programme der Johanniter zu verankern.

Die Betroffenen benötigen spezielle Schutzmechanismen, denn Studien legen immer wieder dar, dass insbesondere Menschen mit mentalen Einschränkungen von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung betroffen sind.
Claudia Zehl, Fachberaterin Safeguarding

Es ist daher ein Anliegen der Johanniter, in alle Projekte auf die speziellen Zielgruppen ausgerichtete Schutzkonzepte einzubauen, um so Risiken zu minimieren, die Rechte der Betroffenen zu schützen und Bewusstsein zu schaffen. Geschieht das nicht, isolieren sich Betroffene wie Sharon immer mehr und verlieren jegliche Hoffnung und Lebenslust. Nachdem sie im Oktober 2020 orientierungslos die Siedlung durchstreifte, wurde sie von gemeindebasierten Sozialberatenden an ein Team von CEFORD, einer Partnerorganisation der Johanniter, verwiesen, welches auf mentale Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (MHPSS) spezialisiert ist. Dieses MHPSS-Team bot Sharon eine individuelle und umfassende psychosoziale Unterstützung.

Verbesserter Zugang zu Gesundheitsdiensten und psychosozialer Unterstützung

Sharon (links im Bild) geht es dank kontinuierlicher Begleitung mental wieder besser.

Heute bieten die MHPSS-Mitarbeitenden im Projekt den Geflüchteten bereits in den Aufnahmezentren von zwei Flüchtlingssiedlungen erste psychosoziale Unterstützung an. Ein psychologischer Beratender führt Erstgespräche mit den ankommenden Personen. Dies hilft den Neuankömmlingen, sich auf das Leben in der neuen Flüchtlingssiedlung einzustellen. Bei Krankheiten, die nicht durch das Projektteam betreut werden können oder medizinische Behandlung benötigen, werden die Betroffenen an weiterführende Institutionen überwiesen.

Zusätzlich unterstützt das Team die Menschen vor Ort in den Flüchtlingssiedlungen durch Einzel- und Gruppentherapien. Kindern werden Spiel- und Sportaktivitäten angeboten, um die belastenden Bedingungen erträglicher zu gestalten und die Integration zu fördern. Insgesamt erreichen die Beratungsdienste und Aktivitäten circa 6.000 Personen. Der professionelle und kontinuierliche Einsatz heilt Seelen: Sharon hat seit dem Beginn der Unterstützung keine weiteren Zusammenbrüche erlitten. Auch die Gemeinde und ihre Familie wurden sensibilisiert und auf Sharons Rückkehr vorbereitet. Heute lebt Sharon zusammen mit ihrer Schwester in der Siedlung und ist wieder ein glücklicher Teil der Familie und der Gemeinde.

Das Projekt wird finanziell vom Auswärtigen Amt unterstützt.

MHPSS – Mental Health and Psychosocial Support in Emergency Settings

Notsituationen belasten Menschen oft psychisch schwer. Dies kann sowohl unmittelbare als auch langfristige Folgen für Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, auch psychosoziale Unterstützung in unsere Projekte zu integrieren. Dabei halten wir uns an die Inter-Agency Standing Committee Guidelines on Mental Health and Psychosocial Support (MHPSS) in Emergency Settings (IASC, 2007).Die Leitlinien helfen bei der Planung, Einrichtung und Koordinierung einer Reihe von bereichsübergreifenden Mindestmaßnahmen zum Schutz, zur Unterstützung und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit und des psychosozialen Wohlbefindens der Menschen in Notsituationen.

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