16.04.2024 | Dienststelle Ortsverband Delmenhorst

„Man hat wirklich im inneren Auge sofort die Bilder von damals gesehen“

Johanniter aus Weser-Ems kehren ins Ahrtal zurück – sie halfen dort kurz nach der Flutkatastrophe

Die Schäden verschwinden langsam, das beklemmende Gefühl bleibt: mehr als zwei Jahre nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal haben sich Helfende aus dem Regionalverband Weser-Ems zurück an die ehemalige Einsatzstelle begeben. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 quollen Wassermassen durch das Ahrtal (Rheinland-Pfalz). Die Flut hinterließ eine Spur der Zerstörung und Verzweiflung bei den Bewohnenden. Doch auch die Helfenden werden die Bilder nie vergessen.

140 Helfende aus Weser-Ems waren unter den ersten Helfenden. Darunter: Sven Köster (Delmenhorst) und seine Frau: „Ich hatte gerade Ende Juni geheiratet und war mit meiner Frau das erste Mal zusammen dort. Wir hatten sozusagen unsere Flitterwochen im Einsatz verbracht.“ Insgesamt dreimal war Köster im Ahrtal im Einsatz.

Im Februar dieses Jahres unterstützte Köster die Kölner Kollegen bei den Faschingsumzügen und besuchte die ehemalige Einsatzstelle. Vieles hatte sich verändert, vieles war wiederaufgebaut. Doch vieles auch nicht. Oft waren es nur ein paar Schritte zwischen Normalität und Zerstörung. „Es war wirklich ein sehr beklemmendes Gefühl vor Ort“, beschreibt Köster. Auch Tim Kreye (Edewecht) war damals unter den Helfenden und im Februar mit Köster und weiteren Ehrenamtlichen in Köln. Sein Eindruck bei der Wiederkehr ins Ahrtal: „Man hat wirklich im inneren Auge sofort die Bilder von damals gesehen. Ab einem gewissen Punkt brauchten wir in Ahrweiler kein Navi mehr, sondern konnten die ganzen Punkte von damals immer noch aus dem Kopf anfahren. Spätestens als wir dann an unserm alten Lager vorbeigefahren sind oder als wir an unserer Arztpraxis vorbei in den Bereich gelaufen sind, wo wir eingesetzt waren, hatten wir alle dauerhaft Gänsehaut, weil das schon ein sehr komisches Gefühl war und alles noch im Kopf war als wäre man gestern erst gefahren."
2021 halfen die Johanniter aus Weser-Ems beim Aufbau von Unfallhilfsstellen und der Notfallversorgung. Die Nordlichter unterstützten den Rettungsdienst und waren in der Psychosozialen Notfallversorgung aktiv und betreuten die zutiefst geschockten Betroffenen. Die Infrastruktur war zerstört, Gas, Strom, Wasser. Wegen der mangelnden Hygiene musste gegen Tetanus geimpft werden. Dabei unterstützen die Johanniter die örtlichen Hausärzte. Außerdem leisteten sie Hilfe, wenn Menschen ihre zerstörten Häuser nicht selbstständig verlassen konnten. „Wir haben dort geholfen, wo Hilfe nötig war“, fasst Köster zusammen.

Besonders die staubige Luft und dass praktisch Tag und Nacht Hubschrauber über dem Gebiet kreisten, blieb ihm in Erinnerung: „Teilweise wurde der Notarzt dort noch per Seilwinde runtergelassen, weil kein Durchkommen zu den Einsatzorten war. Die Bilder waren einfach beängstigend. Dass Wasser so eine Macht haben kann. Es sah wirklich aus wie im Krieg.“ Eine Situation, die den Einsatzkräften körperlich aber auch mental alles abverlangte. Jeden Abend saßen sie zusammen und tauschten sich aus. Köster erinnert sich an viele Gespräche. Besonders bewegt hatte ihn der Bericht einer angehenden Notfallsanitäterin, die während der Flut im Einsatz war und am eignen Leib die Wucht des Wasser spürte, das eine Brücke mitriss – und den Rettungswagen mitsamt ihrem Patienten: „Sie konnte danach nicht abschalten und wollte einfach weiterhelfen.“ Eine Frau aus dem Ahrtal half bis zur Erschöpfung. Die Flut hatte ihr alles genommen. Trotz des Verlusts ihrer Existenz und der kräftezehrenden Arbeit hatte sie nur eine Bitte: sie fragte die Einsatzkräfte, ob sie irgendwo duschen könnte.

Die Flut hat Spuren im Ahrtal hinterlassen und sie hat Spuren hinterlassen in den Herzen der Helfenden. Sven Köster erklärt: „Man achtet mehr auf den Wetterbericht. Man ist feinfühliger, überlegt schon, kann sowas wieder passieren? Was sicher ist, dass die Katastrophen leider mehr werden, und es bestimmt nicht der letzte Einsatz in meiner Laufbahn sein wird.“ Tim Kreye sagt, im Alltag hallen die Bilder selten nach. Dennoch ging der Einsatz nicht spurlos an dem jungen Edewechter vorbei: „Ich glaube, dass ich das erste Mal wirklich realisiert habe, was Katastrophenschutz bedeutet und dass so etwas auch in Deutschland passieren kann. Natürlich weiß man das vorher auch, aber eigentlich sind diese Ereignisse ja sonst immer gefühlt weit weg. Die Fotos und die Bilder, die man im Kopf mitgenommen hat, kann man aus zwei Sichten sehen. Zum einen finde ich es super beeindruckend, was alles wiederaufgebaut wurde. Auf der anderen Seite ist es auch krass, welche Spuren immer noch zu sehen sind." Köster lässt das Erlebte nicht los und wird es wohl auch so schnell nicht tun, vielleicht nie: „Nächstes Jahr schauen wir wieder vorbei und schauen uns die Fortschritte an.“