23.09.2020 | Bundesgeschäftsstelle

Stellungnahme zum MTA-Reform-Gesetzesentwurf

Die Johanniter-Unfall-Hilfe begrüßt das Bestreben des Gesetzgebers, mit detaillierteren Regelungen die Rechtssicherheit bei der Berufsausübung der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter zu stärken.

Ein Patient wird von zwei Sanitätern im Rettungswagen versorgt

Stellungnahme der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze  (MTA-Reform-Gesetz)

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit sieht vor, Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern mehr Rechtssicherheit bei der Berufsausübung zu gewähren und insbesondere die Ausübung von heilkundlichen Tätigkeiten situationsabhängig in begrenztem Umfang zu erlauben. Allerdings enthält der Referentenentwurf Regelungen, die diesem Ziel nicht gerecht werden.

Artikel 12 - Änderung des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG)

Die Neuregelung soll in § 1 Absatz 1 Satz 2 NotSanG aufgenommen werden.

Bewertung:

Das NotSanG ist ein Berufsausbildungsgesetz und regelt den Berufszugang, „nicht die Berufsausübung“ (Bt.-Drs. 17/11689, S. 16). Die Aufnahme, unter welchen Voraussetzungen die Ausübung heilkundlicher Maßnahmen gestattet sein soll, ist zwar an die Ausbildungsinhalte und die Kompetenzen geknüpft, betrifft jedoch die Berufsausübung.

Vorschlag:

Systematisch passend wäre eine Regelung der Ausnahmebefugnis im Heilpraktikergesetz. Dieses regelt die Voraussetzungen zur Ausübung der Heilkunde und stellt die unbefugte Ausübung unter Strafe. Im Zuge der Änderung wäre also somit der Rahmen, in dem die Heilkunde bzw. heilkundliche Maßnahmen ausgeübt werden dürfen, anzupassen.

§ 1 Absatz 1 Satz 2

Personen mit einer Erlaubnis nach § 1 Absatz 1 Satz 1 NotSanG sollen heilkundliche Maßnahmen auch invasiver Art bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen Versorgung unter bestimmten Voraussetzungen eigenverantwortlich durchführen dürfen.

Bewertung:

Das Abstellen auf das Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes doppelt sich mit dem darauf folgend alternativ geforderten Beginn einer weiteren ärztlichen oder teleärztlichen Versorgung. Auch das notärztliche Personal übernimmt bei Eintreffen die Versorgung, sodass hier zwei annähernd gleichlautende Voraussetzungen geschaffen werden, bei der die erste jedoch ohne triftigen Grund enger gefasst ist. Einziger Unterschied ist, dass bei dem Notarzt eine Zusatzqualifikation angesetzt wird. Die Zusatzqualifikation hat jedoch keinen Bezug zur heilkundlichen Tätigkeit nach Heilpraktikergesetz.

Vorschlag:

Der erste Satzteil ist wegzulassen oder alternativ auf das Eintreffen einer Ärztin oder eines Arztes abzustellen.

§ 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3

Im Rahmen der Voraussetzungen wird auf die erlernte und beherrschte Maßnahme (Nr. 1, im Referentenentwurf als Nr. 3 benannt) abgestellt.

Bewertung:

Die Johanniter-Unfall-Hilfe stimmt zu, dass im Rahmen der Voraussetzungen auf die erlernten und beherrschten Maßnahmen abgestellt wird.

Problematisch ist an dieser Stelle, dass in Nr. 3 auf die individuelle Ausbildung abgestellt wird, die wiederum nicht bundeseinheitlich geregelt ist. Zwar gibt die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter den Rahmen vor, doch wird dieser in den jeweiligen Ausbildungsinhalten von den Bundesländern oder teilweise den Schulen selbst konkretisiert. Dies führt zu unterschiedlichen Ausbildungsinhalten und damit zu unterschiedlichen Hilfeleistungsniveaus.

§ 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 4

Die Möglichkeit der Ausübung heilkundlicher Maßnahmen soll an den lebensbedrohlichen Zustand oder die Abwendung wesentlicher Folgeschäden für die Patientin oder den Patienten (Nr. 2, im Referentenentwurf als Nr. 4 benannt) geknüpft werden.

Bewertung:

Die Johanniter-Unfall-Hilfe stimmt zu, dass die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten an den dringend versorgungsbedürftigen Zustand der Notfallpatientin oder des Notfallpatienten anzuknüpfen ist.

Selbstverständlich hat die Notfallsanitäterin oder der Notfallsanitäter dabei die Situation vollumfänglich zu bewerten und mit besten Wissen und Gewissen zu beurteilen. Dabei sollte jedoch die Ex-Ante-Betrachtung für die Beurteilung, ob eine Situation die Ausübung der Heilkunde erlaubte oder nicht, herangezogen werden. Im Gesetzesentwurf wird im Rahmen der Begründung darauf abgestellt, dass wenn nachträglich ermittelt wird, dass der Zustand nicht dem in Nr. 4 entsprochen habe, die Ausübung der Heilkunde unrechtmäßig wäre. Diese Regelung ginge an der Realität vorbei. Die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter müssen in für Patientinnen und Patienten lebensbedrohlichen Situationen mit eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten die bestmögliche Entscheidung treffen. Selbstverständlich muss diese ex post nachvollziehbar sein.

Die Voraussetzungen in Nr. 3 und Nr. 4 (systematisch Nr. 1 und Nr. 2) bilden im Wesentlichen die Voraussetzungen des § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) als Grundlage der sogenannten Notkompetenz ab, wodurch sich an der Versorgungssituation wenig ändern dürfte. Patientinnen und Patienten werden schon jetzt durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter auf hohem medizinischen Niveau versorgt. Die Ausführung, dass es einer Neuregelung bedarf, um die Patientinnen und Patienten zu schützen, ist nicht nachvollziehbar, da die von den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter getroffenen Maßnahmen – egal ob unter der Rechtferti-gung des rechtfertigenden Notstandes oder auf Grundlage einer eigens dafür geschaffenen und entsprechend begrenzten Heilkundekompetenz – stets und ausschließlich zum Wohle der Notfallpatientinnen und Notfallpatienten ergriffen werden.

Vorschlag:

Als Entscheidungsgrundlage, ob die Ausübung heilkundlicher Maßnahmen rechtmäßig war, muss die vorgefundene und entsprechend dokumentierte Notfallsituation und nicht das nachträglich, ohne Zeitdruck und unter Zuhilfenahme der kompletten klinischen Diagnostik festgestellte Krankheitsbild herangezogen werden.

§ 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5

Die Ausübung der Heilkunde soll an die Unmöglichkeit der vorherigen ärztlichen Abklärung und an die Nichtanwendbarkeit standardisierter Vorgaben geknüpft werden (Nr. 3, im Referentenentwurf als Nr. 5 benannt). Dafür heißt es im Detail:
„Ist keine vorherige ärztliche, auch teleärztliche Abklärung möglich, soll eine heilkundliche Maßnahme in der konkreten Einsatzsituation dann erfolgen können, wenn

a) standardmäßige Vorgaben im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c nicht vorliegen oder
b) vorliegende standardmäßige Vorgaben im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c von der Person mit einer Erlaubnis nach Satz 1 nicht angewendet werden dürfen.“

Bewertung:

Nachbesserungsbedarf besteht bei den in Nr. 5 (Nr. 3, im Referentenentwurf als Nr. 5 benannt) aufgeführten Voraussetzungen. Weder die Unmöglichkeit der ärztlichen Abklärung, noch das Nichtvorhandensein standardmäßiger Vorgaben im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 lit. c NotSanG bzw. deren Nichtanwendbarkeit sind geeignet, um als Voraussetzung herangezogen zu werden.

Im Falle der späteren Aufarbeitung einer Behandlungssituation, bei der die Rechtmäßigkeit heilkundlicher Maßnahmen zu bewerten ist, müsste die Unmöglichkeit der ärztlichen Abklärung von der Notfallsanitäterin oder dem Notfallsanitäter dargelegt werden. Dabei ist die spätere Nachweisbarkeit der Unmöglichkeit der ärztlichen Abklärung praktisch kaum zu erbringen. Ferner ist fragwürdig, ob in Deutschland überhaupt eine solche Unmöglichkeit angenommen werden könnte. Aufgrund des engmaschig gestrickten Netzes an Notarztstandorten ist es weniger die Frage des „Ob“, als vielmehr die Frage des „Wann“ ein Notarzt verfügbar ist. Auf den zeitlichen Rahmen wird in dem Referentenentwurf jedoch nicht eingegangen.

Außerdem ist das Abstellen auf das Nichtvorhandensein standardmäßiger Vorgaben nicht zielführend. Die Negativformulierung führte dazu, dass die Anwendung heilkundlicher Maßnahmen bei Vorhandensein standardmäßiger Vorgaben ausscheidet. Da aber bei Abwesenheit eines Arztes oder einer Ärztin nicht bereits aufgrund bestehender standardmäßiger Vorgaben eine ärztlich verantwortete Versorgung vorliegt, dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter bei Vorliegen der standardmäßigen Vorgaben nicht eigenverantwortlich heilkundliche Maßnahmen durchführen und werden mit ihren Handlungen weiterhin in den rechtfertigenden Notstand gedrängt.

Mit der Formulierung, dass bei Vorliegen von standardmäßigen Vorgaben, die jedoch von der Notfallsanitäterin oder dem Notfallsanitäter im Einzelfall nicht angewandt werden dürfen, die Ausübung heilkundlicher Maßnahmen gestattet sei, wird der fälschliche Eindruck erweckt, dass die Arbeit mit standardmäßigen Vorgaben für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter rechtssicherer sei.

Wie bereits dargestellt, bewegt sich das nichtärztliche Personal bei Anwendung der standardmäßigen Vorgaben bei der Ausübung heilkundlicher Maßnahmen lediglich unter dem Rechtfertigungsrahmen des rechtfertigenden Notstandes, da die Voraussetzungen für eine Delegation aufgrund Nichtbeteiligung der Ärztin oder des Arztes und fehlender Individualisierung nicht vorliegen. Für eine etwaige Konstruktion einer „Generaldelegation“ fehlt der rechtliche Rahmen. Außerdem ist zurzeit eine telemedizinische Versorgung in großen Teilen der Bundesrepublik nicht gegeben. Telemedizinische Systeme befinden sich in einigen wenigen Gebieten fortwährend in der Erprobung. Per Gesetz auf das Bestehen solcher Systeme abzustellen nimmt die wissenschaftliche Auswertung und ggf. Änderung der Systeme vorweg.

Vorschlag:

Die Voraussetzungen in Nr. 5 (bzw. 3) sollten gestrichen werden. Stattdessen sollte in der Gesetzesbegründung betont werden, dass die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen subsidiär zur ärztlichen oder teleärztlichen Versorgung zu erfolgen hat und Bemühungen, die Patientinnen und Patienten einer solchen zuzuführen, entsprechend zu dokumentieren sind.

Zu regeln ist ferner, dass die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten auf die Tätigkeit im rettungsdienstlichen Berufsalltag sowie damit vergleichbaren Situationen, wie zum Beispiel dem ehrenamtlichen Engagement im Bevölkerungsschutz, beschränkt ist. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern sollen nicht die Möglichkeit und die damit einhergehende Pflicht zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten in ihrer Freizeit haben.

Haftung

In der Begründung (Referentenentwurf S. 92) wird ausgeführt, dass mit der Ausübung der heilkundlichen Maßnahmen eine besondere Haftungsverantwortung einhergeht.

Bewertung:

Das mit der Ausübung der Heilkunde verbundene Thema der Haftung birgt erhebliche Risiken für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter.

Vorschlag:

Daher ist zu regeln, dass bei Ausübung der Heilkunde im beruflichen Kontext und damit verbundenem eingetretenen Schaden an Patientinnen und Patienten primär die Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers als Dienstherr in Anspruch zu nehmen ist. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter sollten nur subsidiär bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit direkt in Anspruch genommen werden können. Bei einer ungeregelten Inanspruchnahme bestünde die Pflicht, dass die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter für die regelhafte Inanspruchnahme privat vorsorgen, also eine über die normale Privathaftpflicht hinausgehende berufliche Haftpflichtversicherung abschließen müssten oder sich bei regulärer Berufsausübung einem enormen finanziellen Risiko aussetzen würden. Außerdem war bei den Hebammen zu beobachten, dass für die Versicherungspolicen exorbitante Preise aufgerufen wurden. Dies wäre bei der Notwendigkeit einer privaten Haftpflichtversicherung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ebenso zu erwarten. Neben der Nichtfinanzierbarkeit durch die einzelnen Notfallsanitäte-rinnen und Notfallsanitäter hätte dies zur Folge, dass das Berufsbild eher unattraktiver statt attraktiver wird und man mit dieser Regelung den Fachkräftemangel verstärkt.

Ergänzung zu § 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5

Zuständigkeit für die Erstellung von Mustervorgaben für notfallmedizinische Zustandsbilder und -situationen

Das Bundesministerium für Gesundheit soll zum Zwecke der Vereinheitlichung Muster für die standardisierten Vorgaben erstellen. Dazu soll folgende Regelung aufgenommen werden:

„Das Bundesministerium für Gesundheit soll für notfallmedizinische Zustandsbilder und -situationen im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe c Muster für standardmäßige Vorgaben entwickeln und diese bis spätestens zum 31. Dezember 2021 im Bundesanzeiger bekannt machen. Bei der Entwicklung der Muster für standardmäßige Vorgaben sind die Länder zu beteiligen.“

Bewertung:

Letztlich ist unklar, wieso das Bundesministerium für Gesundheit für die Ausarbeitung von Mustern für standardmäßige Vorgaben gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 lit. c NotSanG zuständig sein soll. Diesen standardmäßigen Vorgaben kommt bei der Arbeit der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter Leitliniencharakter zu, wobei diese – anders als approbierte Ärzte – nicht von den konsentierten Leitlinien abweichen dürfen. Medizinische Leitlinien werden üblicherweise von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften und ihren Mitgliedsgesellschaften erarbeitet. Diese Leitlinien werden auch in rechtlicher Betrachtung regelhaft zur Beurteilung der Behandlungsqualität herangezogen.

Vorschlag:

Zur Ausarbeitung von (Muster-)Vorgaben sollten die entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften anstelle der Bundes- und Landesministerien herangezogen werden. Die Fachgesellschaften haben sich bereits an der Ausarbeitung des Pyramidenprozesses beteiligt, verfügen aufgrund der Zusammensetzung und Einbindung verschiedener Ärztlicher Leiter Rettungsdienst auch über breit aufgestellte Erfahrungen im Bereich der standardmäßigen Vorgaben.

Folgt man den oben vorgebrachten Vorschlägen und verortet das Änderungsvorhaben systematisch korrekt in das Heilpraktikergesetz und streicht die kaum praktikable Voraussetzung der Nr. 3, müsste eine Regelung zur Musterausarbeitung losgelöst von den Regelungen zur ausnahmsweisen Ausübung der Heilkunde erlassen werden. Die Erarbeitung der (Muster-)Vorgaben könnte demnach als § 4 Absatz 3 NotSanG geregelt werden.