08.01.2021 | Regionalgeschäftsstelle Hannover

Winter und Sars-CoV-2: Obdachlose Menschen zwischen Frost und Frust

Die Corona-Pandemie sorgt für gedrückte Stimmung bei denen, die auf der Straße leben. Dazu besteht ein hoher Bedarf an Essen, Wintersachen und medizinischer Versorgung.

Es ist kalt diesen Tagen. Die Temperaturen sinken, Schnee fällt, eine klamme Feuchtigkeit liegt über allem. Wie geht es denen, die auf der Straße leben? Wie ist es ihnen an Weihnachten und Silvester ergangen? Das Team des Johanniter-Kältebusses Hannover zieht nach zehn Wochen im Einsatz eine Zwischenbilanz für die Wintersaison 2020/21. Sie fällt sorgenvoll aus.

„Viele Menschen ohne Obdach sind zurzeit sehr frustriert“, sagt Dana Jörk, Fachbereichsleiterin Jugend und Ehrenamt bei den Johannitern in Hannover. Seit 2011 koordiniert sie das Team und seine Einsätze. Die 32-Jährige sagt: „In diesem Winter bekommen wir die Auswirkungen von Corona deutlich zu spüren.“ Nicht nur in den Wohnungen, auch auf der Straße nimmt die Einsamkeit zu. Wohin gehen Menschen ohne ein Zuhause, wenn alles geschlossen hat? Selbst in den Tagesunterkünften für Obdachlose sei der Platz knapp, erzählen sie am Kältebus. Der Grund: Die Zahl der zugelassenen Gäste habe aufgrund der Infektionsgefahr reduziert werden müssen.

Es sind immer mehr Bedürftige, die jeden Montag, Mittwoch und Freitag zum Johanniter-Kältebus kommen, der erst die Nikolaikapelle am Steintor ansteuert und dann zum Kröpcke weiterfährt. „Wir treffen regelmäßig zwischen 50 und 60 Personen an und geben pro Abend etwa 110 Portionen Essen aus“, sagt Dana Jörk. Zu dem warmen Essen gibt es heißen Tee und oft Brötchen als Beilage. Gerne genommen werden außerdem viele Süßigkeiten, gespendet von hilfsbereiten Menschen. Anders als in den Vorjahren bleiben die Besucher in diesem Winter oft länger am Kältebus. Sie nutzen die Gelegenheit zum Austausch, quatschen miteinander, versorgen sich manchmal sogar untereinander mit Klamotten, Essen, Hundefutter oder Hygienemitteln, die sie selbst übrig haben und teilen können.

Durch die regelmäßige Versorgung und den steten Kontakt kennen die ehrenamtlichen Helfer viele ihrer Kunden. Sie begleiten die obdachlosen Menschen durch die kalte Zeit, fragen nach ihrem Befinden, besorgen dringend benötigte Dinge, nehmen Anteil. Die Johanniter bemerkten sofort die gedrückte Stimmung ihrer Kältebusbesucher kurz vor Weihnachten. Leere Straßen, geschlossene Geschäfte, helle Fenster in den Häusern – die kalten Weihnachtsnächte schienen noch dunkler als in anderen Jahren. Sonst übliche Zusatzveranstaltungen für Menschen ohne Wohnsitz seien aufgrund der Corona-Pandemie ersatzlos gestrichen worden, berichteten sie. Ein kleiner Lichtblick war zwar das Kältebus-Weihnachtsessen am 25. Dezember. Grünkohl, Kassler und Bregenwurst mit Kartoffeln sind für viele der Bedürftigen ein jährlich wiederkehrendes Highlight. An Neujahr war die Atmosphäre trotz Erbsensuppe und den Resten des Grünkohls jedoch erneut niedergeschlagen. Dana Jörk: „Seien wir ehrlich. Für obdachlose Menschen gibt es keinen guten Rutsch in ein neues Jahr. Sie sagen, dass es für sie ein Tag wie jeder andere ist.“

Auch der Bedarf an Kleidung, Decken, Hygienemitteln und Masken ist in diesem Winter gestiegen, ebenfalls eine Folge der Pandemie mit weniger Aufenthalts- und reduzierten Waschmöglichkeiten. „Auf der Straße lassen sich Sachen nicht so häufig waschen und bei dieser Wetterung kaum trocknen“, sagt Dana Jörk. Was schmutzig oder nass ist, bleibt deshalb oft einfach liegen. Da hilft es, dass Menschen durch Corona-Beschränkungen derzeit mehr als sonst zu Hause sind und die Zeit zum Aufräumen nutzen. Bei den Johannitern sind viele Spenden von Altkleidern, Decken und Hygieneartikeln eingegangen. Das Lager im Ortsverband Hannover-Wasserturm ist voll, angenommen werden können aktuell nur noch große Rucksäcke. „Wir möchten uns bei allen Spendern sehr herzlich für ihre Mühe und die vielen Sachen bedanken“, sagt Dana Jörk. Trotz der Menge werde der Vorrat allerdings höchstens bis zum Saisonende am 31. März 2021 reichen, so hoch sei der Verbrauch zurzeit.

Ebenfalls gestiegen ist die Zahl derer, die sich am Kältebus medizinisch versorgen lassen. Aktuell sind es pro Einsatz etwa eine Handvoll Menschen, die meist mit offenen Beinen oder blutigen Stellen an den Händen um eine Wundversorgung bitten. Viele neue Ehrenamtliche haben in dieser Saison den Weg zum Kältebus gefunden. „Es sind gut ausgebildete Hebammen, Pflegefachleute und Krankenschwestern darunter“, freut sich Dana Jörk. Die neuen Helfer gleichen den Verlust einiger „alter Kältebus-Hasen“, die eine Auszeit wegen Schwangerschaft oder langwieriger Verletzung benötigen, wieder aus.

Und noch eine gute Nachricht gibt es. Viele Menschen engagieren sich in diesem Winter trotz oder gerade wegen Sars-CoV-2 . Zum Beispiel viele Schüler der Otfried-Preußler-Schule und der Tellkampfschule, die kurz vor Weihnachten eine große Spende gesammelter Güter an das Kältebus-Team übergaben. Die Sachen waren teilweise sogar als Geschenk verpackt und mit weihnachtlichen Grußkarten versehen worden, die Freude beim Verteilen war groß. Die obdachlosen Menschen geben in dieser Zeit aber auch auf einander acht. Ebenfalls kurz vor Weihnachten brachten einige Männer ein sehr junges Mädchen zum Kältebus. Es sei von zu Hause ausgerissen, jemand müsse sich kümmern, denn: „Die Kleine hat ja nichts für eine Nacht auf der Straße.“

Der Kältebus der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. in Hannover

Für mehr als 400 Menschen, die in Hannover auf der Straße leben, ist der Winter die härteste Zeit. Deshalb ist seit 2007 der Kältebus Hannover der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. unterwegs. Dreimal pro Woche fahren die ehrenamtlichen Helfer von 18 bis 21 Uhr erst zur Nikolaikapelle am Steintor und dann zum Kröpcke, um obdachlose Menschen mit Essen, Tee, Winterkleidung und Decken zu versorgen. Die Johanniter kooperieren mit der Caritas und dem Malteser Hilfsdienst, die am Dienstag und Donnerstag die Einsätze übernehmen. Die Johanniter-Unfall-Hilfe schaltet zudem an den drei Einsatztagen von 14 bis 20 Uhr eine Servicerufnummer (0800-0848488), unter der besorgte Bürgerinnen und Bürger Schlafplätze oder Treffpunkte von Obdachlosen melden können. Das Kältebusteam fährt die Orte ab und bietet den Menschen seine Hilfe an. Bei Dauerfrostperioden wird der Kältebuseinsatz zu einer täglichen Versorgung ausgeweitet.

 Hier können Sie spenden