„Gaffen tötet!“: ein Design, das Leben retten kann

Per QR-Code weisen die Johanniter auf die Problematik „Gaffen am Einsatzort“ hin – und sensibilisieren mit Erfolg.

Gaffen tötet!

Wer gafft, hindert Rettungskräfte bei ihrer Arbeit und gefährdet schlimmstenfalls Menschenleben. Doch wie macht man Schaulustige in Echtzeit auf dieses Problem aufmerksam? Ein QR-Code, der in einem intelligenten Design versteckt ist und nicht sofort als solcher zu erkennen ist, führt zur Website der Johanniter-Initiative „Gaffen tötet!“. Sobald Zuschauende ihre Handykamera darauf richten, werden sie weitergeleitet. Diese innovative Idee verfolgt die Johanniter-Unfall-Hilfe an mehreren ihrer Standorte. Dort sind mit großformatigen QR-Code-Design ausgestattete Rettungswagen im Einsatz. Die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften hat das Projekt von Oktober 2021 bis Ende Dezember 2022 wissenschaftlich begleitet. Nun liegen die Ergebnisse vor. Sie zeigen: Die Idee war nicht nur kreativ und mutig, sondern hat auch umfassend für das Thema „Gaffen am Einsatzort“ sensibilisiert. 

QR-Code auf Fahrzeugen und Ausrüstung: Johanniter wehren sich kreativ gegen Gaffer
QR-Code auf Fahrzeugen und Ausrüstung: Johanniter wehren sich kreativ gegen Gaffer

Die Erfolgsidee in Zahlen

98
Prozent
der befragten Johanniter bestätigten, dass der QR-Code zu gesteigerter Aufmerksamkeit in der Bevölkerung führt.
1.500
Beiträge und Berichte
in nationalen und internationalen Medien gab es bisher über das Projekt „Gaffen tötet!“.
68
Prozent
der Bevölkerung halten die Initiative für hilfreich gegen Schaulust.

36
Auszeichnungen
hat „Gaffen tötet!“ bis dato erhalten, darunter die renommierten Cannes Lions und Effie Awards.

Die wichtigsten Forschungsergebnisse

Einsatzorte der Rettungswagen mit QR-Code-Design

Einsatzorte der mit QR-Codes ausgestatteten Rettungswagen

In der Pilotphase ab Oktober 2021 waren zwischenzeitig bis zu 34 mit QR-Codes ausgestattete Rettungswagen an 18 festen Johanniter-Standorten in zehn Bundesländern im Einsatz: in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Thüringen. Seit Ende der Pilotphase dürfen auch weitere Johanniter-Standorte entscheiden, ob sie ihre Rettungswagen mit dem QR-Code-Design versehen.

Wann Gaffer die Kamera zücken

Anzahl der filmenden und fotografierenden Schaulustigen bei Einsätzen

Im Rahmen der Begleitung durch die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften haben die Johanniter-Rettungskräfte der teilnehmenden Standorte die Einsätze dokumentiert, bei denen sie zuschauende Personen bemerkt haben. Die Protokolle zeigen: Je mehr Zuschauende bei einem Einsatz anwesend sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie vor Ort filmen oder fotografieren. Bereits ab mehr als fünf Schaulustigen steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich an. Einen möglichen Grund hierfür sehen die Forschenden in der Verantwortungsdiffusion: Je größer die Gruppe der gaffenden Personen ist, desto stärker sinkt die Hemmschwelle.

So häufig sind Störungen bei Einsätzen

Anzahl der berichteten Einsätze mit Störungen durch Gaffer

Im Zeitraum der wissenschaftlichen Begleitung haben die Johanniter der Pilot- und Kontrollstandorte 281 Einsätze protokolliert, bei denen sie Zuschauende bemerkt haben. In 27 Fällen berichteten die teilnehmenden Rettungskräfte über Störungen während der Notfallversorgung. Dies entspricht einem Anteil von fast zehn Prozent – ein Wert, der alarmierend ist, denn im Ernstfall zählt jede Sekunde. Wenn Rettungskräfte kostbare Zeit verlieren, weil sie sich erst mit Schaulustigen auseinandersetzen müssen, kann dies für die Betroffenen im schlimmsten Fall tödlich enden.

Belastungsstudie im Rettungsdienst

Weitere Projekte

Die Johanniter-Unfall-Hilfe hat gemeinsam mit der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften eine Studie zu Belastungen im Rettungsdienst initiiert. Ziel ist es, konkrete Stressoren aus dem Arbeitsalltag der Einsatzkräfte zu identifizieren, um die Arbeitssituation gezielt zu verbessern. Mitarbeitende können dabei selbst angeben, welche Themen für sie besonders belastend sind.

Was Rettungskräfte am meisten stört

Art und Häufigkeit der Einsatzstörungen

An erster Stelle unter den in den 27 Einsätzen genannten Störungen wird mit knapp 45 Prozent genannt, dass Einsatzkräfte bei dem Einsatz selbst gefilmt oder fotografiert wurden. Diese Störung ist damit die häufigste der protokollierten Einsätze mit Schaulust, gefolgt von erschwerten Zugängen zu oder beeinträchtigtem Abtransport von Patientinnen und Patienten (40,74 Prozent). In mehr als 25 Prozent der Zwischenfälle behinderten Schaulustige zudem die Versorgung der Betroffenen, wurden verbal aggressiv oder machten ein Durchgreifen der Polizei notwendig. In der Befragung konnten die teilnehmenden Rettungskräfte mehrere Antworten nennen.

Wo die meisten Störungen stattfinden

Anzahl der berichteten Störungen je Einsatzort

Je zugänglicher der Einsatzort, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Leute ansammeln, die zuschauen. Das zeigen Interviews mit den teilnehmenden Rettungskräften: Mehr als 70 Prozent der im Erhebungszeitraum berichteten Störungen fanden im öffentlichen Raum, in öffentlichen Einrichtungen oder auf Straßen statt. Dennoch erzielte das private Wohnumfeld mit knapp 30 Prozent den höchsten Einzelwert – ob es sich hierbei wirklich um Schaulust oder vielmehr um Anteilnahme oder gar einen Schockzustand handelt, lässt sich aus den Ergebnissen allerdings nicht ableiten.

So denkt die Bevölkerung übers Gaffen

Anteil der Bevölkerung (in Prozent), der das Gaffen für problematisch hält

Wie bewertet die Bevölkerung das Beobachten, Filmen und Fotografieren von Einsätzen? Auch dies wollten die Forschenden erfahren. Die nach Zufallsprinzip zugeordnete, repräsentative Umfrage zeigt ein eindeutiges Bild: Insgesamt 76 Prozent der Befragten halten Schaulust in jeglicher Form für sehr problematisch. Interessant sind hier die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Mit 83 Prozent bewerten deutlich mehr Frauen als Männer (70 Prozent) gaffendes Verhalten als kritisch.

60,4 Prozent der befragten, an der Pilotphase teilnehmenden, Johanniter sind der Ansicht, die Problematik „Gaffen" lasse sich am ehesten durch Prävention und Sensibilisierung lösen.

Unfallopfer hatten selten Erfahrungen mit Gaffern

Anteil der Bevölkerung (in Prozent), der Erfahrungen mit Gaffern hat

In der Bevölkerung ist die direkte oder indirekte Betroffenheit von Schaulust, verbunden mit Film- oder Fotoaufnahmen, bei weitem nicht so stark vertreten wie unter Rettungskräften. Insgesamt haben nur 7 Prozent der Befragten angegeben, dass sie mit der Problematik vertraut sind. Davon kennen 5 Prozent jemanden, der bei einem Rettungseinsatz fotografiert oder gefilmt wurde. Weitere 2 Prozent haben selbst solche Erfahrungen gemacht. 84 Prozent antworteten, bisher weder selbst betroffen gewesen zu sein noch eine Person zu kennen, der dies widerfahren ist.

Zuschauen ja, filmen nein

Anteil der Bevölkerung (in Prozent), der Einsätze beobachtet, gefilmt oder fotografiert hat

Wie sieht es mit dem eigenen Verhalten aus? Die Umfragewerte spiegeln wider, dass in der Bevölkerung durchaus ein Bewusstsein für das Problem Gaffen am Einsatzort herrscht. 80 Prozent der Befragten gaben an, selbst noch nie eine Rettungssituation beobachtet, fotografiert oder gefilmt zu haben. Allerdings räumten weitere 15 Prozent ein, bei einem Rettungseinsatz schon einmal aus einiger Entfernung zugesehen zu haben. Gefilmt oder fotografiert, ob aus der Ferne oder Nähe, haben mit je 1 Prozent aber die Wenigsten.

Diese Emotionen löst Schaulust aus

Art und Häufigkeit der durch Gaffen ausgelösten Emotionen bei Rettungskräften

Gaffen beeinträchtigt Mitarbeitende im Rettungsdienst auch dadurch, dass Schaulustige unterschiedliche Emotionen wecken, die sich auf die Arbeit auswirken. Mehr als 83 Prozent der befragten Rettungskräfte gaben an, dass sie Schaulust-Situationen mit Wut oder Ärger verbinden. Da Mehrfachnennungen möglich waren, antworteten mehr als 58 Prozent zudem, die eigene Betroffenheit beiseitezuschieben und ihre Emotionen bei Störungen am Einsatzort zu unterdrücken – also Gaffer auszublenden, zu ignorieren oder deren Schaulust resigniert hinzunehmen.

Interkulturelle Kompetenzen im Rettungsdienst

Weitere Projekte

Die Johanniter-Unfall-Hilfe und die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften untersuchen im Rettungsdienst die Herausforderungen im Umgang mit Menschen mit Migrationsgeschichte und anderen vulnerablen Gruppen. Ziel des Projektes ist es, Schulungsangebote zu optimieren, damit Mitarbeitende auch in schwierigen Situationen eine wertschätzende, diskriminierungs- und machtfreie Grundhaltung einnehmen können.

 

QR-Code erhöht Aufmerksamkeit drastisch

Einsatzerfahrungen der Johanniter mit dem QR-Code

Die befragten Johanniter haben noch unterschiedliche Ansichten darüber, wie sich der QR-Code im Einsatz auswirkt. Fast 45 Prozent gaben zu Protokoll, durch die Beklebung der Rettungswagen keinen Unterschied im Einsatz zu bemerken. Etwas mehr, nämlich 53,2 Prozent, äußerten sich kritisch über die anfängliche Umsetzung: Durch die reduzierten Signalfarben befürchteten sie, der Rettungswagen könnte nicht sichtbar genug sein. Das Design wurde daraufhin noch während der laufenden Pilotphase optimiert. Große Zustimmung gab es jedoch in puncto Aufmerksamkeit: Fast 98 Prozent antworteten, diese sei durch das QR-Code-Muster eindeutig gestiegen.

Gaffer erschweren komplexen Arbeitsalltag

Art und Häufigkeit der Herausforderungen bei Einsätzen

Fast 15 Prozent der befragten Johanniter-Rettungskräfte gaben an, dass Zuschauende eine Herausforderung sind, mit der sie in ihrem Arbeitsalltag häufig zu tun haben – eine Herausforderung, die der QR-Code auf den Rettungswagen eindämmen soll. Denn je weniger Gaffer die Einsätze stören, desto konzentrierter können die Rettungskräfte arbeiten. Dass die Einsätze immer vielfältiger werden, empfinden sie nämlich als größte Herausforderung im Rettungsdienst: Mit 75 Prozent landete die zunehmende Komplexität der Einsätze in der Befragung auf Platz 1.

Häufig gestellte Fragen

Mehr erfahren über „Gaffen tötet!“

Mit einem neuen QR-Code-Design für Geräte und Einsatzwagen klären die Johanniter über die Folgen von Gaffen auf.

Wie Gaffen Menschenleben gefährdet

Wann spricht man von Gaffen und was können die Folgen sein?

Mehr erfahren

Ein Design, das Leben retten kann

Gaffer erwischen sich selbst auf frischer Tat – dank einer Innovation der Johanniter-Unfall-Hilfe und der Kreativagentur Scholz & Friends

Mehr erfahren
Rettungsdienst fährt los

Zum Tag der 112: „Gaffen tötet!“

Durch einen innovativen QR-Code auf Rettungswagen erwischen sich Gaffer selbst auf frischer Tat

Mehr erfahren

Guideline für die Fahrzeugbeklebung

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie Kommunen können die Guideline für die Fahrzeugbeklebung auf Anfrage erhalten.