Small-Fiber-Neuropathie (SFN)
Die Small-Fiber-Neuropathie (SFN) ist eine seltene, weil zu selten diagnostizierte und damit völlig unterrepräsentierte Erkrankung. Aktuelle epidemiologische Studien zur Häufigkeit der SFN sind selten und die Ergebnisse z. T. inkongruent, mit Prävalenzen zwischen 53 und 132 Fällen pro 100.000. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit in den nächsten Jahren aufgrund der zunehmenden Beachtung („awareness“) ansteigen wird.
Die SFN ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems aufgrund einer isolierten oder vorwiegenden Schädigung dünn myelinisierter Aδ-Fasern und/oder unmyelinisierter C‑Fasern. Für die sichere Diagnose einer SFN ist neben der klinischen Symptomatik mit Schmerzen und Sensibilitätsstörungen, typischerweise mit distal betonter Ausbreitung, der apparative Nachweis einer Rarefizierung oder einer Funktionsstörung der dünn myelinisierten Aδ-Fasern und/oder der unmyelinisierten C‑Fasern gefordert. Im vorliegenden Beitrag wird eine Übersicht über die diagnostischen Verfahren zum Nachweis einer SFN sowie über mögliche Ursachen und Behandlungsoptionen gegeben.
Diese Nervenfaserklassen sind sowohl für die Weiterleitung von Schmerz- und Temperaturempfinden als auch für autonome Funktionen zuständig. Durch Schädigung sowohl somatischer als auch vegetativer Nervenfasern ist die klinische Präsentation der SFN vielgestaltig. Ein häufiges Symptom sind neuropathische Schmerzen, die oftmals als brennend, einschießend oder nadelstichartig beschrieben werden, sowie unangenehme, kribbelnde Missempfindungen. Daneben besteht häufig eine Störung des Temperaturempfindens, welche entweder in Kombination mit den Schmerzen oder isoliert als schmerzlose SFN auftreten kann. Typischerweise folgt die sensible Symptomatik einem socken- bzw. handschuhförmigen Verteilungsmuster mit von distal nach proximal aufsteigenden, d. h. längenabhängigen, sensiblen Defiziten. Seltener ist die nichtlängenabhängige Form mit Symptomen, die asymmetrisch und diffus auftreten und neben den proximalen Extremitäten auch den Thorax oder das Gesicht betreffen können und bei der eine Ganglionopathie als ursächlich angenommen wird. Neben den Schmerzen und sensiblen Defiziten können betroffene Patienten auch unter einer autonomen Dysfunktion leiden.
Verbindungvon SFN zu anderen seltenen Erkrankungen wie hypermobile Syndrome, perineuralen Zysten, MCAS
Small-Fiber-Neuropathie (SFN) betrifft die kleinen Nervenfasern, die Schmerz, Temperatur und autonome Funktionen vermitteln. Sie tritt häufig bei Patientinnen und Patientinnen mit seltenen Erkrankungen wie dem hypermobilen Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS) auf. Bei hEDS kann die Bindegewebsdysregulation die Stabilität von Nervenfasern beeinträchtigen und die Entstehung einer SFN begünstigen. Das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) zeigt ebenfalls eine Verbindung zu SFN, da Mastzellmediatoren Entzündungsreaktionen auslösen, die die kleinen Nervenfasern schädigen können. Auch perineurale Zysten, wie Tarlovzysten, können durch Schädigung der Nerven selbst, durch Druck auf parallel zu den von Zysten betroffenen Nerven verlaufenden Nervenwurzeln oder gestörte Liquorzirkulation eine SFN-ähnliche Symptomatik oder SFN selbst hervorrufen
Die Kombination dieser seltenen Erkrankungen kann zu einem komplexen klinischen Bild aus neuropathischen Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Dysautonomie führen. Patientinnen und Patienten berichten oft über ein Zusammenwirken von Schmerzen, Instabilität der Gelenke und vegetativen Beschwerden. Diagnostisch werden Hautbiopsien, Quantitative Sensory Testing und neurophysiologische Untersuchungen eingesetzt, um SFN nachzuweisen. Therapeutisch ist ein multimodaler Ansatz sinnvoll, der Schmerzmanagement, Mastzellstabilisierung und gegebenenfalls chirurgische Behandlung von Zysten umfasst. Insgesamt verdeutlicht die Verbindung von SFN zu diesen seltenen Erkrankungen die Notwendigkeit einer kenntnisreichen interdisziplinären Betreuung, um die komplexen Symptome adäquat zu adressieren.
Verbindung von SFN zu Long Covid
SFN betrifft die kleinen Nervenfasern, die Schmerz, Temperatur und autonome Funktionen vermitteln. Bei Patientinnen und Patienten mit Long Covid wird zunehmend über das Auftreten von SFN berichtet. Vermutlich spielen entzündliche Prozesse im Bereich der Nerven und der Nervenhüllen (Arachnoidea) sowie Autoimmunreaktionen und die direkte Wirkung von SARS-CoV-2 auf das Nervensystem eine Rolle. Betroffene klagen häufig über neuropathische Schmerzen, Kribbeln, Brennen oder Missempfindungen in Händen und Füßen. Auch vegetative Symptome wie Herzrasen, Schwindel oder Temperaturdysregulation sind typisch und weisen auf eine Beteiligung des autonomen Nervensystems hin. Studien deuten darauf hin, dass die Schädigung kleiner Nervenfasern die Ursache für viele Long-Covid-Symptome sein könnte, darunter Fatigue und kognitive Einschränkungen. Eine frühzeitige Erkennung von SFN bei Long-Covid-Patientinnen und Patienten kann die Lebensqualität deutlich verbessern. Insgesamt zeigt die Verbindung von SFN und Long Covid, wie komplex und systemisch die Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion sein können.
Typische Symptome von Small-Fiber-Neuropathie (SFN)
- Palpitationen,
- Prthostatische Dysregulation
- Vasomotorische Störungen mit Veränderungen des Hautkolorits und des Haar‑/Nagelwachstums
- Sicca-Symptomatik
- Obstipation/Diarrhö
- Urininkontinenz
- Verändertes Schwitzen
- Gestörte Sexualfunktion
- Sehstörungen (Lichtempfindlichkeit; Verschwommensehen)
Diagnostik von SFN
klinische Zeichen einer Affektion der kleinkalibrigen Fasern (Sensibilitätsverlust und/oder Allodynie und/oder Hyperalgesie für Pin-Prick- und thermische Reize);
auffällige Warm- und/oder Kaltwahrnehmungsschwellen in der Quantitativ Sensorischen Testung (QST) im Bereich der Füße und
reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichte (IENFD) am distalen Unterschenkel.
Basierend auf den im Jahr 2010 veröffentlichten NEURODIAB-Kriterien zur Klassifikation der SFN, die auch die Wahrscheinlichkeit einer SFN bewerten, wurde ein stufenweiser diagnostischer Algorithmus vorgeschlagen, um insbesondere längenabhängige Polyneuropathien zu untersuchen und einzuteilen. Anzumerken ist, dass die unterschiedlichen Diagnosekriterien für eine SFN teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen in bisherigen Studien führen.
Weitere Spezifika der Diagnose von SFN
Der Verdacht auf eine SFN durch apparative Zusatzuntersuchungen weiter abgeklärt. In der konventionellen Elektroneurographie zeigt sich bei der SFN ein Normalbefund. Die Hautbiopsie gilt als sog. Goldstandard in der Diagnostik der Small-Fiber-Neuropathie, wenngleich mit gewissen Einschränkungen (v. a. bei hereditären paroxysmalen Schmerzsyndromen durch eine Hyperexzitabilität der Neuronen ohne Rarefizierung der intraepidermalen Nervenfasern. Die nozizeptiv evozierten Potenziale sind etablierte Verfahren zur Untersuchung der Nervenfaserfunktion, deren Einsatz allerdings auf spezialisierte Zentren beschränkt ist. Die nicht-invasive korneale konfokale Mikroskopie (CCM) kann ebenfalls Aussagen über morphologische Veränderungen der dünnen Nervenfasern liefern. Eine begleitend vorliegende autonome Dysregulation kann z. B. mithilfe der Kipptischuntersuchung, der Herzfrequenzanalyse oder dem quantitativen sudomotorischen Axonreflextest nachgewiesen werden.
Therapie von SFN
Die Behandlung einer Small-Fiber-Neuropathie (SFN) richtet sich primär nach den Ursachen und den Symptomen, da eine Heilung nicht immer möglich ist.
1. Ursachenorientierte Therapie:
- Wenn die SFN durch Diabetes, Autoimmunerkrankungen, Infektionen (z. B. Long Covid) oder Vitaminmangel verursacht wird, werden diese Grunderkrankungen behandelt.
- Beispielsweise kann die Optimierung des Blutzuckers bei diabetischer SFN oder die Substitution von Vitamin B12 hilfreich sein.
2. Symptomatische Schmerztherapie:
- Neuropathische Schmerzen werden oft mit Medikamenten wie Gabapentin, Pregabalin, Duloxetin oder Amitriptylin behandelt.
- Topische Präparate wie Capsaicin-Creme oder Lidocain-Pflaster können lokal wirksam sein.
3. Physiotherapie und Bewegung:
- Gezieltes Training und Physiotherapie können die Funktion der betroffenen Gliedmaßen verbessern und Schmerzen reduzieren.
4. Immunsuppressive oder immunmodulierende Therapie:
- Bei SFN, die durch Autoimmunprozesse ausgelöst wird, können Kortikosteroide, IVIG oder Plasmapherese in Betracht gezogen werden.
5. Multidisziplinäre Betreuung:
- Oft ist eine Kombination aus Schmerztherapie, physikalischer Therapie, Behandlung der Grunderkrankung und psychologischer Unterstützung sinnvoll.
6. Lifestyle-Maßnahmen:
- Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und Stressreduktion können langfristig das Wohlbefinden verbessern.