Ungleichheit begünstigt geschlechtsspezifische Gewalt

Banner der UN zum Tag gegen Gewalt an Frauen: eine Illustration der Umrisse einer Frau in Orange mit der Aufschrift End Violence Against Women und dem Logo der UN Women

Berlin / Juba, 23. November 2021

Der 25. November ist jedes Jahr der Auftakt, um weltweit auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen. Unser Team im Südsudan gestaltet die Auftaktveranstaltung in Western Bahr el Ghazal dieses Jahr mit und macht während der anschließenden Aktionstage auf die Problematik aufmerksam. Allein 2021 half das Team 79 Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt. Deren Zahl steigt durch die katastrophale Lage im Land insgesamt an.

Geschlechtsspezifische Gewalt (GBV) ist nicht allein körperliche und sexuelle Gewalt. Wenn Frauen und Mädchen nicht die gleichen Chancen haben, um ein erfülltes Leben zu führen, ist dieser Aspekt ebenso Teil der Gewalt. Im Südsudan ist geschlechtsspezifische Gewalt tief verwurzelt. Die hohe Analphabetenrate unter Mädchen und Frauen, Kinderheiraten, hohe Müttersterblichkeit oder eingeschränkte Möglichkeiten des Lebensunterhalts gelten als Indikatoren, die deutlich machen, dass Ungleichheit zwischen Geschlechtern existiert. Das Ende dieser Gewalt beginnt also damit, den Überlebenden zu glauben und umfassende Maßnahmen zu beginnen, welche schädliche soziale Normen ändern und Frauen und Mädchen stärken.

Unsichere Ernährungslage und Einkommenssituation begünstigt ansteigende Gewalt

Insbesondere in den Krisen- und Konfliktgebieten des Südsudan ist sexuelle Gewalt weit verbreitet. In der anhaltenden Corona-Pandemie sind die Zahlen gestiegen. Selbst nach Vertreibungen sind Frauen und Mädchen weiterhin bedroht, auch Jungen und junge Männer zählen zu den Überlebenden. Nicht selten kommt es vor, dass GBV-Überlebende von mehreren Gewaltformen gleichzeitig betroffen sind. Auch wenn es im Südsudan schwierig ist, eine stichhaltige Datenbasis für das Ausmaß des Problems zu schaffen, sind sich alle Beteiligten einig. Das Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt jedweder Form ist aufgrund der unsicheren Ernährungslage und Einkommenssituation gestiegen.

79 GBV-Fälle begleitet und überwiesen

Eine Gruppe junger Männer im Vordergrund, eine Rednerin mit Johanniter Westeim Hintergrund
Vor allem junge Männer werden über ihre Rolle im Kampf gegen GBV sensibilisiert.

Von Januar bis Oktober 2021 hat das Johanniter-Team im Projektgebiet in dem Bundesstaat Western Bahr el Ghazal 79 GBV-Fälle registriert, davon waren 65 Frauen aller Altersstufen. Elf erlebten Vergewaltigungen. zwei Personen sexuelle Übergriffe, drei Betroffene waren körperlichen Übergriffen ausgesetzt und 18 Menschen erlebten psycho-emotionalen Missbrauch. „Alle 79 Betroffenen haben psychosoziale Unterstützung erhalten. 55 wurden an medizinische Dienste verwiesen und 42 an juristische Dienste, um rechtlichen Beistand zu erfahren“, sagt Viola Philips. Sie leitet die Maßnahmen der Johanniter in diesem Bereich. „Mehr als ein Dutzend Betroffener benötigte auch noch nach den Vorfällen Schutz oder eine sichere Unterkunft, die wir ihnen ermöglichten.“

Ziel: Verabschiedung eines Anti-GBV-Gesetzes

Die Johanniter im Südsudan werden 2021 zusammen mit anderen Organisationen während der 16 Tage des Aktivismus die Stimme gegen GBV im Südsudan und weltweit erheben. Die Gedenktage werden in allen 10 Bundesstaaten des Landes durchgeführt und zusammen mit dem Ministerium für Geschlechterfragen, Kinder und Soziales organisiert, um die Menschen zu sensibilisieren und um die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu schaffen. Unter dem Motto "Take Action: Be Accountable - End Violence Against Women and Girls" (Beende Gewalt gegen Frauen und Mädchen) wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, um eine nachhaltige Finanzierung von Präventionsmaßnahmen und der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Südsudan sicherzustellen.  Darunter gehört auch das Eintreten für die Verabschiedung eines Anti-GBV-Gesetzes.

Eine Person steht in der Mitte eines Stuhlkreises
Zusätzlich werden in Fokus Gruppen die Auswirkungen von kulturellen Überzeugungen auf Frauen und Mädchen diskutiert.

27-jährige Überlebende aus dem Dorf Baggari

Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm spricht mit einem Mann mit Johanniter Shirt
Unser GBV-Fallbeauftragter Andrew Bernerdo berät die Überlebende über ihre Möglichkeiten.

Mein Fall ereignete sich am 26. April in Baggari-Farajalla Payam, als ich von einem unserer Gruppenmitglieder zum traditionellen Gemeinschaftsanbau eingeladen wurde. Als wir im Garten fertig waren, lud uns die Besitzerin noch zum Essen und zum Trinken ein. Danach ging ich nach Hause, um meine eigene Arbeit zu tun. Gegen 19 Uhr kam jedoch ein unbekannter Mann, während ich mich in meinem Zimmer ausruhte. Er betrat den Raum, packte mich gewaltsam und hatte ohne meine Zustimmung Sex mit mir. Mein Mann war nicht zu Hause, ich schrie und weinte laut, aber niemand hörte meine Stimme, denn die Häuser sind bei uns verstreut. Danach lief der Mann weg.

Am nächsten Morgen beschloss ich, den Johannitern davon zu berichten, die für unsere Gemeinschaft zuständig sind, zumal ich eine stillende Mutter bin. Ich bat um Hilfe. Der GBV-Fallbeauftragte der Johanniter, Andrew Bernerdo, beriet mich und stellte alle verfügbaren Dienste vor. Nach der Beurteilung wurde ich an das One-Stop-Center im Lehrkrankenhaus von Wau überwiesen. Dort wurde ich behandelt und erhielt u.a. Rechtsberatung. Ich persönlich schätze die Unterstützung sehr und auch die Mitarbeiter, die mich von Anfang an bis zum Ende meines Falles unterstützt haben. Sollte in meiner Gegend etwas Schlimmes in Bezug auf Gewalt gegen Frauen passieren, werde ich als Botschafter für andere Menschen fungieren, indem ich sie ermutige, sich bei den Johannitern zu melden.

Eine Mutter erklärt einer anderen Mutter mit Säugling Vorteile des Stillens auf einem Acker.

Die Auslandshilfe im Süsudan

Im Südsudan liegt der Schwerpunkt unserer Aktivitäten auf der medizinischen Betreuung von Schwangeren, Müttern und ihren Neugeborenen. Wir verbessern die Hygienesituation sowie den Ernährungszustand. So tragen wir zur Senkung der Sterblichkeit bei.

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