Irak: Offene Wunden nach der IS-Herrschaft heilen
Alquosh / Berlin, 08. Oktober 2020
Die irakische Stadt Alquosh hat viele traumatisierte Geflüchtete während der Herrschaft des Islamischen Staates (IS) aufgenommen. Unsere Partnerorganisation Jiyan Foundation for Human Rights leistete in den vergangenen zwei Jahren psychologische Betreuung für die Betroffenen und bemühte sich um den Abbau von Spannungen.
"In zehn Jahren werden alle Assyrer dieses Land verlassen haben. Die Leute gehen, weil sie das Gefühl haben, hier nicht erwünscht zu sein und weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis es so etwas wie den Islamischen Staat wieder gibt.“ Die Aussage eines assyrischen Arztes spiegelt die Angst wider, die viele Menschen in sich tragen. Als der IS 2017 aus der Provinz Ninive zurückgedrängt wurde, hinterließ er nicht nur zahlreiche Tote, sondern auch viele verletzte Seelen, tiefes Misstrauen und die Befürchtung vor weiteren Spannungen.
In der irakischen Provinz Ninive leben sunnitische und schiitische Muslime, Kurden, Jesiden und assyrische Christen zusammen. Vor allem nicht-sunnitische Bewohner litten unter der IS-Gewalt. Jesidinnen wurden entführt und als Sklavinnen gehalten. Männer wurden während der Gefangenschaft vergewaltigt, um den Feind maximal zu entwürdigen. Mord an Familienmitgliedern fanden im Beisein der Angehörigen statt. Um die traumatisierten Hinterbliebenen und Betroffenen kümmert sich seit mehreren Jahren die Jiyan Foundation, Partner der Johanniter im Irak.
Die Kehrseite waren jedoch überfüllte Gesundheitszentren und lange Wartelisten für dringend zu behandelnde Patientinnen und Patienten. Deshalb wurde im Oktober 2018 mit dem Ausbau einer Gesundheitsstation begonnen. In der neuen Station wenden die Mitarbeitenden von Jiyan den Mehrebenenansatz an. Sie bieten den Menschen eine medizinische Grundversorgung an, bei der die Ärzte gleichzeitig bei Konsultationen über psychische Erkrankungen sprechen und darüber aufklären. In einem weiteren Schritt bietet Jiyan bei Bedarf Diagnosemöglichkeiten und psychologische Behandlung an.
Psychologische Erstversorgung mit mobilen Teams
Mit dem Aufbau einer psychosozialen und psychologischen Versorgungsstruktur reagierte Jiyan adäquat auf den immensen Bedarf in der Bevölkerung. Mobile Teams waren mindestens einmal pro Woche in verschiedenen Flüchtlingscamps in der Region um Alquosh unterwegs, bei denen spezialisierte Mitarbeitende psychologische Erstversorgung anboten. Durch Schnelldiagnosen konnten Patienten bei Bedarf an geeignete Stellen überwiesen werden. Ein Schwerpunkt war dabei jederzeit, sich für den Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen einzusetzen, um langfristig Konfliktpotentiale zu reduzieren. Denn auch wenn der IS vertrieben wurde, liegt Alquosh auf einer sich ständig ändernden Grenzlinie zwischen Kurdistan und dem Zentralirak, die seit jeher für Spannungen steht. Um den wichtigen Ansatz weiterzuführen, ist noch für dieses Jahr die Ausweitung des Projekts auf die irakische Hauptstadt Bagdad geplant. Dort soll ein neues Zentrum entstehen, um knapp 2000 Patientinnen und Patienten eine dringend benötigte psychosoziale Unterstützung zur Verfügung zu stellen.
Das Projekt in Alquosh wurde finanziell durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.