Tag der Logistik: „Es braucht eine gute Portion Pragmatismus“
Welf Seyer ist ehrenamtlicher Soforthelfer bei der Johanniter-Auslandshilfe. Der 37-Jährige aus Berlin ist Logistik-Experte und arbeitet hauptberuflich bei der Seenotrettung Sea-Watch e.V. In den vergangenen Wochen war er für die Johanniter im Logistics Cluster im polnischen Rzeszów aktiv, um die Hilfe für die Ukraine logistisch zu koordinieren. Im Interview schildert er seine Erfahrungen.
Du hast im Rahmen des im Februar begonnen Ukrainekriegs den Logistics Cluster unterstützt. Welche spezifische Aufgabe hat der Cluster?
Das Log Cluster ist ein koordinierendes Instrument der internationalen humanitären Gemeinschaft, das vor allem von Personal des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen betrieben wird. Neben dem Log Cluster gibt es noch zehn weitere Cluster, die sich um spezifische Themen bei Hilfsmaßnahmen kümmern und in den betreffenden Ländern je nach Bedarf aktiviert werden.
Das Ziel des Log Clusters ist es, Lücken in der Logistik in großen Notlagen zu füllen und Lösungen zu finden. Ein Beispiel: Humanitäre Akteure können sich bei der Suche nach Transportkapazitäten oder Lagerhäusern gegenseitig überbieten und so die Preise in die Höhe treiben. Kapazitäten werden oft nicht effizient genutzt. Das Logistics Cluster springt hier ein und kann im großen Stil diese Logistikkapazität anmieten und koordiniert zur Verfügung stellen. Zudem sammelt das Logistics Cluster Informationen und bereitet diese auf, oder klärt mit Behörden Themen wie Möglichkeiten vereinfachter Zollabfertigungen, damit Hilfe schnell und möglichst reibungslos ankommt.
Welche konkreten Aufgaben hast du im Cluster übernommen? War es das erste Mal für dich?
Ich war das erste Mal für den Logistics Cluster im Einsatz, kannte diesen aber bereits gut von der anderen Seite. Nach dem Erdbeben in Nepal 2015 hatte ich als Johanniter mit dem Cluster die Einfuhr von Materialien unseres medizinischen Teams und von Hilfsgütern koordiniert. Zunächst wurden sie im Logistics Cluster Hub am Flughafen in Kathmandu eingelagert und folgend mit LKWs in das Einsatzgebiet transportiert. Das war damals hilfreich.
Dieses Mal war ich auf der anderen Seite. Zusammen mit Kollegen haben wir ebenjene Anfragen bearbeitet. Ich war am Logistics Hub am Flughafen Rzeszów in Ostpolen eingesetzt. Hier waren wir zunächst nur zu dritt in einem Lagerhaus, das von der Firma Maersk angemietet wurde. Dieses war kürzlich fertiggestellt worden, und hatte kaum Infrastruktur, mit der wir arbeiten konnten. Diese musste zunächst beschafft werden, ein Office wurde von uns behelfsmäßig eingerichtet, sodass wir schnell anfangen konnten zu arbeiten. Wichtig ist auch immer eine gute Portion Pragmatismus. Es läuft sicherlich anders als man erwartet, und darauf sollte pragmatisch reagiert werden.
Ich war dann vor allem dafür zuständig, mit den „Customers“, also z.B. den Johannitern, zu kommunizieren, und dafür zu sorgen, dass der logistische Ablauf von Ankunft bis Einlagerung und später die Auslieferung funktionierte. Dazu war ich mit verschiedensten Partnern aus dem Bereich in Kontakt. Es war schön zu sehen, wie immer mehr Warenlieferungen an unserem Lager in Rzeszów eintrafen, wir diese umschlagen konnten und dann LKW-Konvois mit Ziel Ukraine auf dem Betriebshof zusammengestellt wurden.
Du arbeitest im normalen Leben als Bereichsleitung für Logistik & Schiffsmanagement von Sea-Watch e.V. Weltweit steigende Preise, Knappheit an Ressourcen sowie Nahrungsmitteln, Bauteilen und lange Lieferzeiten machen nicht nur der Logistikbranche zu schaffen. Was erwartest oder befürchtest du für negative Auswirkungen fernab des Ukrainekriegs?
Ja, in der Tat hat der Krieg in der Ukraine Einfluss auf so viele verschiedene Bereiche. Unmittelbare Folgen, die wir in der Logistik registrieren, sind derzeit die Treibstoffpreise. Treibstoffkosten für unsere Schiffe und Flugzeuge sind einer der größten täglichen Posten. Auch Ersatzteillieferungen könnten möglicherweise beeinträchtigt werden, Lieferengpässe können entstehen.
Am heftigsten trifft es aber die Ärmsten. Große Teile der weltweiten Getreideproduktion liegen in der Ukraine und auch in Russland. Die Preise gehen hoch und verschlimmern somit die Versorgungslage in Ländern wie z.B. Jemen oder der Sahelzone. Es ist zu vermuten, dass dies auch vermehrt Menschen veranlasst dem Hunger zu entfliehen. Der Fokus auf die humanitäre Lage in der Ukraine hat leider zur Folge, dass die Lage der Menschen auf dem Mittelmeer, oder in den Internierungslagern in Libyen noch mehr aus dem Fokus verschwindet, als ohnehin schon. Informationen über Unglücke mit vielen Toten oder auch Menschenrechtsverletzungen, die an der Tagesordnung sind, erreichen immer seltener oder gar nicht die Öffentlichkeit.